Glosse zu Hitlers "Mein Kampf" Er ist wieder da

Die kritische Edition von Adolf Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf" ist auf Platz eins der "Spiegel"-Bestsellerliste gerutscht, ein Indiz dafür, dass sich immer mehr Menschen für historische Zusammenhänge interessieren

Dass Adolf Hitlers schreckliches, widerliches und menschenverachtendes Erfolgsbuch „Mein Kampf“ 70 Jahre nach dem Tod des Autors im Berliner Führerbunker wieder zum Bestseller werden könnte, das war eine der großen Befürchtungen derer, die der kommentierten Ausgabe von „Mein Kampf“ mit Skepsis begegneten. Der braune Geist, einmal aus der Flasche gelassen, könnte unschuldige Leser vergiften und den Neonazis Futter bieten.

Nun ist es ganz anders gekommen: „Mein Kampf“ – die kommentierte historisch-kritische Ausgabe – ist ein Bestseller, ist auf Platz eins der „Spiegel“-Sachbuch-Liste geklettert. Das aber, ohne dass geistige Vergiftungsfälle bekannt geworden wären. Wir erinnern uns an die Vorstellung des Buchs im Januar und daran, dass das Münchner Institut für Zeitgeschichte nicht einmal genügend Exemplare hatte drucken lassen, um alle angereisten Journalisten damit zu versorgen. Wir erinnern uns ferner daran, dass große Buchhandelsketten wie Thalia und Hugendubel sich keine Bücherstände mit „Mein Kampf“ in den Laden stellen wollten.

Schließlich erinnern wir uns, als das Rezensionsexemplar von „Mein Kampf“ in der Redaktion ankam: kein Teufelswerk, das auf den Index gehört, sondern ein dank der Kommentierung und historischen Einordnung ungemein lesenswertes und spannendes Stück Geschichte. Das haben offenbar auch andere so gesehen. Die Befürchtungen der Skeptiker haben sich nicht bewahrheitet. Der ungeahnte Erfolg der Münchner Ausgabe offenbart ein großes Interesse für Zusammenhänge.

Nun steht die bayerische CSU-Regierung , die das Editionsprojekt und das Öffnen der vermeintlichen Büchse der Pandora Jahrzehnte lang bekämpft hat – der Freistaat war bis Ende 2015 Rechteinhaber von „Mein Kampf“ –, ziemlich blamiert da. Sie hat wohl den Wissensdurst des Volks unter- und die Korrumpierbarkeit durch braunes Gedankengut überschätzt.

Man geht heute souveräner und aufgeklärter, lockerer und differenzierter mit dem Thema um. Man lacht sich schlapp über Timur Vermes' Hitler-Satire „Er ist wieder da“ (20 Wochen auf Platz eins der „Spiegel“-Liste), das Hörbuch, gesprochen von Christoph Maria Herbst (ebenfalls in den Charts) und den fünffach für den deutschen Filmpreis nominierten Kinofilm – und interessiert sich aber eben auch für die Hintergründe, die die Edition vorbildlich aufbereitet.

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