Judenretter Oskar Schindler: Neue Biografie Einfach gut

Das Sachbuch eines Siegburgers über Oskar Schindler bringt unsere Geschichte auf den Punkt.

Die Geschichte ist einfach. Und die Geschichte geht in diesem Fall auch gut aus. Sie handelt von dem scheinbar Unmöglichen und zeigt, dass es möglich war. Der Siegburger Autor Werner Schneider, Anglist, Jahrgang 1940, berichtet von der scheinbar unglaublichen Geschichte des Oskar Schindler, die der amerikanische Starregisseur Steven Spielberg nach mehr als zehnjähriger Vorarbeit als „Schindlers Liste“ verfilmt hatte. Die deutsche Uraufführung fand in Anwesenheit des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker 1994 statt. In kurzer Zeit sahen sechs Millionen Deutsche den Film, der von dem schrecklichsten Verbrechen der deutschen Geschichte erzählt – und zugleich von einem erstaunlichen Menschen, der sich gegen den Zeitgeist und die Verbrecher auflehnte: Oskar Schindler (1908-1974).

Schindler war ein Lebemann. Ein Frauenheld. Er war vergnügungssüchtig, ein raffinierter Geschäftsmann und Kriegsgewinnler. Kein Sympathieträger also. Aber als es darauf ankam, rettete er über tausend jüdischen Mitbürgern das Leben. Er fand zumindest für sie einen Ausweg aus den Vernichtungslagern. Er redete und verhandelte mit den Obernazis in Berlin. Er kaufte die in seiner Firma beschäftigten Juden gewissermaßen den Nazis ab. Dafür gab er sein gesamtes Vermögen, seine Fabrik, und er riskierte sein Leben. Am Ende machte er sich Vorwürfe, nicht noch mehr Leben gerettet zu haben.

Kaum ein Deutscher kannte Schindlers Geschichte

Nach dem Krieg gelang es Oskar Schindler nicht mehr, in der deutschen Gesellschaft wieder Fuß zu fassen. In einer gutbürgerlichen Gesellschaft, die diese Verbrechen zugelassen hatte und dann zur Tagesordnung des Wirtschaftswunders übergegangen war. Er starb verarmt, verlassen und einsam, unterstützt von jüdischen Hilfsorganisationen, irgendwo hinterm Hauptbahnhof in Frankfurt. Kaum ein Deutscher kümmerte sich nach 1945 um diesen „anderen Deutschen“.

Vielleicht ist das sogar der zweite Skandal, auf den sein Leben hinweist: Zahllose Publikationen über Hitlers Verbrecher – aber einen publikumswirksamen Film über den, der Leben rettenden Widerstand leistete, dreht erst ein Amerikaner. Wieder mal eine Chance verpasst. Aber wenigstens jetzt, heute, sollten Geschichte und Film über Oskar Schindler Aufmerksamkeit bekommen. Einen Platz in der Schule. Darum bemüht sich der ehemalige Lehrer Werner Schneider aus Siegburg, promovierter Experte für Geschichte wie Film, seit langem bei zuständigen Ämtern. Man kann nur hoffen, dass seine Bemühungen erfolgreich sein werden. Sonst wäre dies der dritte Skandal. Denn die Zeit von „Schindlers Liste“ wird nie vorbei sein – und gerade jetzt ist sie wieder da.

Werner Schneider hat im vorliegenden Buch Forschungsergebnisse zum „Fall Schindler“ zusammengefasst und so das Unfassbare herausgearbeitet: Die Unfassbarkeit einer verbrecherischen Elite, in der eine am Leben gescheiterte Gestalt Häftlinge zu Tode quälen konnte, ein Nichtsnutz, der zu allem Unheil auch noch Amon Göth hieß. Das war aus der deutschen Goethe-Kultur geworden. Diese hatten die Nazis auch zerstört. Und Schneider zeigt die Unfassbarkeit eines Mannes, der angesichts dieses Unrechts und Leids über sich hinauswuchs: Er wurde zum Menschen.

Steven Spielberg erkannte, dass diese Geschichte nicht nur die Zeitgeschichte aufbewahrt, sondern ein Beispiel dafür bleibt, was der Mensch sein könnte, sein sollte – und sein kann. Jahrelang bereitete Spielberg diesen Film vor. Er sammelte über 50 Aussagen von Zeitzeugen und sah sich die Schauplätze des Verbrechens in Polen an.

Ein Mensch wird nicht als Lebensretter geboren

Schneider analysiert die Schwierigkeiten der Vorbereitungszeit ebenso wie das cineastische Meisterwerk, das Spielberg schuf. Er erklärt, wie der Film seine Wirkung erzielt, warum er mit welchen Stilmitteln arbeitet, wie er aufgebaut ist, wie er sich diesem Thema behutsam und zugleich ehrlich nähert: Kunstwerk und Dokument in einem. Dazu hat der Verfasser Kontakt zu den noch Lebenden von Schindlers Rettungsliste aufgenommen und so vieles erfahren, was in keinem Geschichtsbuch steht. Er stand im Briefwechsel mit Mietek Pemper, der im Zentrum des Geschehens Schrecken und Rettung miterlebte.

Schneiders Buch zeigt, dass ein Mensch nicht zum Lebensretter geboren wird. Dass auch die Umwelt ihn nicht zum Lebensretter macht. Das muss er schon selbst tun. Dass Menschen immer helfen können, in jeder Position, in jeder Rolle, das zeigt dieses Buch auch. Ausreden gelten nicht. Wir müssen nur die Not sehen, wir müssen einen guten Willen haben … und dann auch etwas tun. Das Buch zeigt, dass unendlich viel gelingt, wenn man nur anfängt. Einfach überlegt anfängt.

Und wie kommentiert Oskar Schindler sich selbst? Mit einem Satz, der uns alle beschämt, die dem Treiben vom Fernsehsessel aus zuschauen und dann Bedenken äußern: „Ein denkender Mensch musste einfach helfen.“ Dieser Satz ist einfach gut.

Werner Schneider: Oskar Schindler – Steven Spielberg – Wer ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt. Bernstein-Verlag Siegburg, 100 S., 9,80 Euro. Bestellbar hier.

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