Auf Miguel de Cervantes' Spuren Eine beflügelte Phantasie

Im flachen Kernland Spaniens ist ein bedauernswerter Ritter zum höchsten Kulturgut avanciert. Ein Ritter, den es nie gab. 400 Jahre nach dem Tod des Miguel de Cervantes sind sein Geschöpf Don Quijote und er selbst in der Mancha allgegenwärtig.

 Der Ritter von der traurigen Gestalt und seine riesenhaften Gegner: Die berühmte Windmühlenszene als Intarsienarbeit an einem Wandschrank in Cervantes' Geburtshaus

Der Ritter von der traurigen Gestalt und seine riesenhaften Gegner: Die berühmte Windmühlenszene als Intarsienarbeit an einem Wandschrank in Cervantes' Geburtshaus

Foto: Martin Wein

Unwirsch klimpert Maria José Caeiro mit ihrem handtaschengroßen Schlüsselbund. Die Pförtnerin im Monasterio de las Trinitarias mitten im Madrider Literatenviertel wird sich wohl daran gewöhnen müssen, dass Fremde an der schweren Holzpforte mit der tückischen Schwelle um Einlass zu den 13 steinalten Nonnen bitten. In der mit Gold überladenen Barockkirche des Klosters nämlich liegt hinter einer schlichten Marmorplatte zusammen mit drei anderen Männern, zwei Frauen, sechs Kindern und vier ungeklärten Fällen, was Historiker wie José Francisco Castro für die sterblichen Überreste von Miguel de Cervantes halten.

„Dass die Nonnen ihn beherbergen, haben sie sich selbst zuzuschreiben“, sagt Castro. Schließlich habe der Orden Cervantes 1580 nach vier erfolglosen Fluchtversuchen für 500 Dukaten aus der Gefangenschaft algerischer Piraten freigekauft und sich damit seine Gunst erworben. „Das Telefon stand nicht mehr still, seit die Wissenschaftler seine Knochenreste im letzten Sommer in der Krypta entdeckt haben“, sagt Maria dann doch mit einigem Stolz. „Dabei wussten wir ja immer, dass er da war.“ Pünktlich zu Cervantes‘ 400. Todestag ist das Kloster jetzt erstmals zu Führungen geöffnet.

In der Mancha ist Cervantes präsenter denn je

Auch an vielen anderen Orten südlich der Hauptstadt in der brettflachen, sommers staubtrockenen und glutheißen Mancha ist Cervantes heute präsenter denn je. „Er ist unser größter Autor und dank seines innovativen Anti-Heldenromans einer der wichtigsten Schriftsteller der Welt“, fasst Castro zusammen, der für die Cervantes-Gesellschaft tätig ist. Wer den Mann und seine Zeit besser verstehen möchte, den schickt der junge Wissenschaftler 30 Kilometer südlich nach Alcalá de Henares. Obgleich wegen seiner alten Universität längst Weltkulturerbe, liegt die Stadt noch fernab üblicher Touristenrouten.

Hier im Haus Nummer 3 der Calle de la Image wird am 29. September 1547 der kleine Miguel als viertes von sieben Kindern geboren: In der Franco-Ära wurde die Immobilie mit dem großem, maurisch inspirierten Patio und geschmackvoll möblierten Räumen rekonstruiert und ist heute ein Museum. Im 16. Jahrhundert ist Alcalá de Henares das Zentrum Kastiliens. Auch wenn Cervantes‘ Vater als verarmter Landadeliger sein Geld mit dem Ziehen von Weisheitszähnen verdienen muss, hat der Sohn gute Startchancen für eine akademische Karriere. Die Eltern ziehen dem Hof hinterher und der Sohn studiert bei den Humanisten. Dann duelliert er sich, so ist zu vermuten, und flieht vor der Justiz nach Rom.

In der Mancha finden sich seine Spuren wieder gleich hinter dem „Quijotel“ im Weinkeller des Bürgermeisterhauses von Argamassilla de Alba. Heute liegt ein großes Kulturzentrum über der staubigen Höhle, in der Cervantes angeblich 1602 eingekerkert war – wegen einer Frauengeschichte oder wegen Unterschlagung (er ist aus Geldnot Steuereintreiber geworden). Hier kommt ihm (nach einer abenteuerlichen Zeit in der spanischen Marine-Infanterie, der Gefangenschaft in Algier, fruchtlosen Versuchen als Dramen-Autor und einem verpatzten Karriere-Neustart als Provinzgouverneur in Südamerika) die Idee zu seiner Parodie auf die unter Zeitgenossen höchst beliebten Ritterromane. Auf über 500 Seiten lässt er den freiheitsliebenden Ritter Don Quijote de la Mancha mit seinem Klepper Rocinante und gegen den Rat seines korpulenten Knappen Sancho Panza gegen Windmühlen anrennen, die der durch übermäßige Lektüre vollkommen übergeschnappte Adelige für Riesen mit wedelnden Armen hält.

Nur wenige der traditionellen Windmühlen sind übrig

Auf diese Episode (die wohl auch deshalb so berühmt ist, weil sie ziemlich am Anfang des dicken Romans mit seinen vielen eingestreuten Novellen und Abenteuern steht) kommt der Autor nicht von ungefähr. Der Holzeinschlag für den Schiffsbau hat die Mancha erst kurz zuvor zur wasserarmen Steppe ausdörren lassen. Nun müssen große, mit Stoff bespannte Windmühlen statt der bisher üblichen Wassermühlen das Korn mahlen. 1500 Stück beflügelten in der Spitzenzeit die Mancha – und Cervantes‘ Phantasie. Heute sind weniger als 50 übrig, vor allem auf dem Hügel von Consuegra und in Campo de Criptana.

Reichlich Personal für sein Werk findet Cervantes unter anderem in Esquivias zwischen Toledo und Madrid. Hier hilft der Autor 1584 der Witwe eines Freundes beim Ordnen des Nachlasses und trifft seine Frau Catalina de Salazar. Ihr Vermögen wird ihn zeitlebens über Wasser halten. Und ihr Onkel, ein Riesenfan kitschiger Ritterromane, steht wie der Dorfpfarrer und ein gewisser Sancho Gauna später Pate für Figuren im Don Quijote. Der geräumige Landhof der Salazars, in den Cervantes sich gerne zurückzieht, liegt noch heute als Oase der Ruhe unter der Sonne Kastiliens und wird als Museum betrieben.

Zwar bringt der erste Teil des Quijote dem Autor 1605 einiges Geld und viel Ruhm. Die Erstauflage von 1500 Exemplaren ist sofort vergriffen. Das unerhörte, hochkomische Buch findet seinen Weg durch ganz Europa und der Autor setzt sich an den zweiten Teil. Doch als Cervantes nur Monate nach der Fertigstellung 1616 stirbt, ist er wieder so blank wie zuvor. Posthum stellt Cervantes seine spanische Dichter-Konkurrenz aber sämtlich in den Schatten. Auf der neuen Grabplatte im Kloster steht geschrieben, was er, der zeitlebens auch gegen Windmühlen focht, drei Tage vor seinem Tod im Vorwort zu seinem letzten Werk notiert: „Die Zeit ist kurz, das Verlangen wächst, die Hoffnung klingt ab und trotz alledem trage ich den Wunsch in mir, dass ich weiterleben will.“

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