Dortmunds Theater ist spitze Digitale Welt auf der Bühne in Dortund

Dortmund · Das Schauspiel Dortmund ist eines der interessantesten Theater im deutschsprachigen Raum. Der Chef Kay Voges hat daran entscheidenden Anteil.

 Außenansicht: Das Theater in Dortmund. FOTO: DPA

Außenansicht: Das Theater in Dortmund. FOTO: DPA

Foto: picture alliance / Ina Fassbende

Spätestens mit der Einladung der „Borderline Prozession“ zum Berliner Theatertreffen 2017 kam die Adelung, aber eigentlich war schon vorher klar: Der gebürtige Düsseldorfer Kay Voges hat das Schauspiel Dortmund zu einem der interessantesten Theater im deutschsprachigen Raum gemacht. Seit 2010 ist er Intendant in der Ruhrgebietsstadt, die im Bereich Schauspiel meist im Schatten des Bochumer Schauspielhauses stand. Bis 2020 will Voges bleiben, also startet er diesen Sommer in einen Endspurt für sein avanciertes Programm, das an alten Gewissheiten rüttelt und das Dortmunder Haus zum Vorreiter im Einsatz digitaler Künste und Techniken gemacht hat.

Was das Schauspiel Dortmund besonders macht, kann man gut am aktuellen Publikumsrenner ablesen: In Kay Voges Inszenierung „Die Parallelwelt“ spielt ein gut 420 Kilometer langes Glasfaserkabel die Hauptrolle. Es verläuft am Currywurst-Äquator und verbindet das Dortmunder Theater mit dem Berliner Ensemble, wo die Aufführungen jeweils parallel gespielt werden. Die Zuschauer verfolgen die rückwärts erzählte Lebensgeschichte des Erdenbewohners Fred auf einer viergeteilten Bühne über echte Spielszenen und Videobilder, die live aus der jeweils anderen Stadt gestreamt werden.

Die Schauspieler agieren in beiden Städten in den gleichen Kostümen, sie sollen Menschen in parallelen Universen darstellen, wo Entscheidungen oder andere Zufälle zu unterschiedlichen Lebensläufen führen. Das Stück ist so eine Art Gehirnjogging, eine Bebilderung der Frage, die Werner Heisenbergs Quantenphysik weiterdenkt: Was wäre, wenn wir Kontakt zu unseren Pendants in parallelen Universen aufnehmen könnten? Man kann das als Nerd-Quatsch abtun; und das Stück ist wie fast immer bei Voges auch mit Kalauern und Turbulenzen gespickt. Doch es ist unbestritten eine technische Meisterleistung und ein möglicher Weg in die Zukunft des Theaters. Durch die gleichrangige Behandlung und Überlagerung von echten Spielszenen und Videobildern fragt es nach einer Grundvoraussetzung des theatralen Erzählens – der physischen Präsenz der Schauspieler und des Publikums an einem Ort.

Konferenz zu Digitalität im Theater

Außerdem spielt „Die Parallelwelt“ mit der Gleichzeitigkeit verschiedener Handlungen und Informationen. Das ist ein Prinzip, das Kay Voges in der „Borderline Prozession“ bis zur absoluten Überforderung zugespitzt hat: Da setzt er die Zuschauer einem digitalen Dauerfeuer aus.

Das digitale Leben wurde über die Jahre zum beherrschenden Thema von Kay Voges Intendanz. Wichtige Rollen für seine Stückentwicklungen kamen Programmierern zu. In der Oper „Einstein On The Beach“ etwa wurde die Musik von Philip Glass auch anders erfahrbar als nur mit den Ohren. Sie lief durch einen Computer-Algorithmus, der mit ihren Impulsen Bühnenverwandlungen steuerte, Kostüme wechselten ihre Farben, und auch Licht und Video gehörten zu einem Netzwerk, das die Musik angetrieben hat.

„Ich denke, dass Theater immer politisch gegenwärtig sein muss, ein Reflexionsort der aktuellen Themen – und Digitalisierung ist eins der großen Themen der Menschheit geworden“, sagt Kay Voges. „Das sind zum Teil inhaltliche Fragen: Wie gehen wir mit künstlicher Intelligenz um? Wie gehen wir mit Vorratsdatenspeicherung und Überwachung um?“ Und: „Wie weit sind wir heute in der Lage, Netzwerktechnik, Algorithmen, Kameras, virtuelle Realitäten auf der Bühne einzusetzen und mit Spiel und Sprache zu verbinden? Vielleicht können wir auch da eine zeitgemäße Erzählstruktur für das Theater der Gegenwart finden.“

Deshalb hat der Theatermacher bereits vor einem knappen Jahr in Dortmund die Konferenz „Enjoy Complexity“ zur Digitalität im Theater veranstaltet, die eigentlich auch Startschuss für eine deutschlandweit einzigartige Akademie für Digitalität und Darstellende Kunst sein sollte. Bisher hat die Akademie, die das Theater Dortmund als neue Sparte zukunftsfest machen, Techniker und Künstler ausbilden soll, ihre Arbeit noch nicht aufnehmen können. Im Februar will das Theater das Ergebnis der Sponsoren- und Raumsuche verkünden.

Bis dahin können die Zuschauer die Komplexität des digitalen Zeitalters in Dortmund weiter vom Zuschauerraum aus genießen.

„Die Parallelwelt“: 24. Januar, 2., 3., 23. und 24. Februar. Karten: (0231) 50 27 222.

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