Heimliche Stars des Jazz Die unbekannten Bonner Grammy-Gewinner

Das kommt dabei heraus, wenn sich Joachim Becker und Klaus Genuit begegnen: Ein fantastischer Espresso, sehr, sehr gute Jazz-Alben und jede Menge Grammys.

 Goldglänzende Grammys im Hintergrund: Jazz-Produzent Joachim Becker (links) und Toningenieur Klaus Genuit im Beueler Hansahaus-Studio.

Goldglänzende Grammys im Hintergrund: Jazz-Produzent Joachim Becker (links) und Toningenieur Klaus Genuit im Beueler Hansahaus-Studio.

Foto: Wolfgang Kaes

Man muss das kleine Eifeldorf nicht kennen. Schlichte Häuser aus schwerem, schwarzem Basalt, drei Kneipen, eine Metzgerei, kein Bankautomat. Auf halber Strecke zwischen Andernach am Rhein und dem Laacher See. Eich. Für jemanden, der den Großteil seines Berufslebens damit zubrachte, zwischen Köln, New York, Minneapolis und Los Angeles zu pendeln und einige Jahre mitten in Manhattan wohnte, kann das doch keine bevorzugte Destination sein. Sollte man meinen.

„Ich mag es, hier jederzeit durch den Wald spazieren zu können“, sagt Joachim Becker. „Man wird älter. Außerdem ist das Nomadenleben auf Dauer nicht gerade gesund. Internet-Programme wie Skype oder WeTransfer ersetzen heute die Vielfliegerei.“ Joachim Becker muss man ebenso wenig kennen wie seinen Wohnort Eich. Der 58-Jährige unterhält keine Website, es gibt nicht mal einen Wikipedia-Eintrag. Aber in der internationalen Jazz-Szene kennt so ziemlich jeder den Plattenproduzenten und zweifachen Grammy-Preisträger.

Platten für die Größen der Musikwelt

Seit 1997 produziert Becker jedes neue Album des amerikanischen Funk-Saxofonisten Maceo Parker, der als junger Mann zur Bläser-Abteilung von James Brown gehörte und später unter anderem für Prince und die Red Hot Chili Peppers zum Saxofon griff. Becker machte Platten mit dem Pianisten Abdullah Ibrahim, mit der WDR-Bigband und dem Santana-Schlagzeuger Dennis Chambers, mit dem Miles-Davis-Saxofonisten Bill Evans, mit der halben Musiker-Besatzung des im vergangenen Jahr verstorbenen Popstars Prince aus dessen Studio in Minneapolis, nicht zuletzt mit „Weather Report“-Gründer Joe Zawinul, neben Miles Davis einem der einflussreichsten Jazzer der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Mit dem 26 Jahre älteren, vor zehn Jahren verstorbenen Zawinul verband Becker eine innige Freundschaft. In Zawinuls Haus im kalifornischen Malibu bei Los Angeles gab es einen „J.B. room“ – ein Gästezimmer, stets reserviert für den Freund aus Deutschland. „Das hatte schon was, aus dem Wohnzimmer den Delfinen im Meer zuzuschauen“, erinnert sich Becker.

„Allerdings wurde schon morgens beim Frühstück die erste Runde Slibowitz aufgetischt. Keine Widerrede. Viele hatten ja nicht nur Respekt, sondern regelrecht Angst vor Joe. Weil er sich so gerne und lautstark stritt. Über Musik, über Fußball, über alles. Sein Wiener Akzent klang so hart und unbarmherzig, wenn er englisch sprach. In solchen Momenten schwenkte ich einfach auf Deutsch um, und prompt besänftigte Joes melodiöses Wienerisch auch seine Gedanken.“

Joachim Becker wuchs ganz in der Nähe von Eich auf, jenseits des Laacher Sees, besuchte das Gymnasium in der Kleinstadt Mayen, wo sein Vater Anton als Musiklehrer wirkte, gelangweilten Schülern den Quintenzirkel eintrichterte – und 1976 die erste Schüler-Bigband in Rheinland-Pfalz gründete. In der bediente der 17-jährige Sohn die Tasteninstrumente – und begann par-allel, selbst Konzerte zu veranstalten, holte Eberhard Weber, Charlie Mariano, Billy Cobham, Pat Metheny in die Mayener Schulturnhalle.

Als Dizzy Gillespie die Damen im Café erschreckte

Und Dizzy Gillespie. Vor dem Konzert saß man im plüschigen „Café Alt-Mayen“ beisammen, die älteren Damen am Nebentisch glotzten unentwegt und ungeniert, als hätten sie noch nie im Leben einen Afroamerikaner gesehen – oder aber den Leibhaftigen vor sich. „Dizzy konnte ja wie kein anderer Trompeter die Backen aufblasen“, erinnert sich Becker an die Zeit vor 40 Jahren. „Also drehte er sich zu den Damen um, stierte zurück, verdrehte die Augen und blies mal so richtig die Backen auf.“

Zu Billy Cobham kamen 2000 Leute, zu Pat Methenys Konzert strömten 2500 Menschen in die Halle, in der gewöhnlich nicht Jazz, sondern Völkerball gespielt wurde. Der Gymnasiast antichambrierte im Rathaus, bei der Feuerwehr und beim Hausmeister, nachts klebte er mit Freunden 2000 Plakate – und trug seine Trompete ins Pfandhaus, als es mit der Vorfinanzierung eng wurde.

Warum tut man sich das an? Becker lacht. „Wenn man damals als Jugend-licher in einer Kleinstadt in der Eifel lebte, gab es kaum Möglichkeiten, gute Konzerte irgendwo in Deutschland zu besuchen. Also dachte ich mir: Dann holst du eben die guten Konzerte nach Hause. Es gab kein Handy, keine E-Mails – und trotzdem war das alles einfacher zu organisieren als heute.“ Bald nach Methenys Konzert rief dessen Agent bei dem Gymnasiasten an: „Joachim, kannst du schon mal deine Turnhalle buchen?“ „Für wen denn?“ „Sag ich dir später.“ So kam Herbert Grönemeyer nach Mayen, bevor er die großen Arenen füllte.

Nach Abitur und Zivildienst ging Becker an die Musikhochschule Köln, um beim Herbolzheimer-Posaunisten Jiggs Whigham Jazz zu studieren. „Köln war damals der einzige Ort in Deutschland, wo man als Musikstudent das Fach Jazz belegen konnte. Köln war das Mekka für diese Musik.“ Und deren pulsierendes Herz war das Cornet-Studio an der Aachener Straße 1112 mit seinem legendären Tonmeister Wolfgang Hirschmann, der die Köln Big Band produzierte, in der Becker Keyboard spielte.

Ein Witz erklärt den Schritt vom Musiker zum Produzenten

Anschließend ging der junge Keyboarder aus der Eifel vier Jahre lang, von 1986 bis 1990, mit Alphonse Mouzon auf Tour – um sich anschließend vom Berufsbild Musiker zu verabschieden und Produzent zu werden. Wie es zu dem Schritt kam, erklärt ein in der Szene kursierender bitterböser Witz in nur zwei Sätzen: Begegnen sich ein Techno-DJ und ein Jazzmusiker. Sagt der DJ zum Musiker: „Zum Flughafen, bitte“.

Ortswechsel. Ein Hinterhof auf dem Gelände der ehemaligen Tapetenfabrik im einstigen Beueler Industrierevier. An der Giebelwand führt eine Feuertreppe hinauf in schwindelnde Höhen. „Hier haben wir auch schon mal eine Hammond raufgetragen“, sagt Becker. Die schallgedämmte Tür steht schon offen. Ein Tonstudio. Noch ein Tonstudio. Ein Flügel der edlen Wiener Manufaktur Bösendorfer, zu deren prominenter Kundschaft Franz Liszt, Oscar Peterson und Frank Zappa zählten. Labyrinthische Gänge, vollgestopft mit Percussion-Instrumenten.

Am Ende die Küche, die eher einem Urwald ähnelt, so prächtig gedeihen die Kübelpflanzen unter dem gewaltigen Oberlicht im Fabrikdach. Hinter der Theke steht Hausherr Klaus Genuit. „Bei Klaus gibt’s den besten Espresso Deutschlands“, versichert Becker. Er hätte auch sagen können: Bei Klaus gibt’s die beste Tonmischung Deutschlands.

Aber das wäre wohl zu selbstverständlich, um Erwähnung zu finden. Schließlich hat Genuit nicht zwei Grammys wie Becker, sondern schon drei gewonnen. Wir sind zu Gast im Hansahaus-Studio, seit 1989 in Beuel beheimatet, zuvor im Hansahaus neben dem Bad Godesberger Bahnhof. Nur der Name ist geblieben. Und natürlich Klaus Genuit. Becker hat fast alle Platten bei ihm einspielen lassen und zu diesem Zweck die Elite des internationalen Jazz nach Beuel verfrachtet.

Musik und Kaffee sind handgemacht

Der Espresso ist tatsächlich fantastisch. Handgemacht. Wie die Musik. Und die Maschine produziert mitunter im Dauerbetrieb. Wenn die WDR-Bigband mit ihrem kompletten Bläsersatz anrückt, dann kommt schon was zusammen in der Küche. Perfektionist Joe Zawinul mietete das Studio alleine für die Produktion seines Album „Faces and Places“ 54 lange Tage.

Diese Zeiten sind vorbei. Zeit ist Geld. „Heute wollen die morgens anfangen und abends durch sein“, sagt Genuit. Aber der gute Ruf des Studios ist geblieben. Und verbreitet sich vorwiegend über Mundpropaganda, das Echo reicht bis über den Atlantik. „Die Welt ist klein in dieser Branche“, sagt Klaus Genuit.

Weil er vom Jazz alleine nicht existieren könnte, steht das Aufnahmestudio jeder Musikgattung offen: Jon Lord, Gründungsmitglied der Hardrock-Band „Deep Purple“, war in Beuel, Jürgen Zeltinger, Pe Werner, Pur, Klaus Lage, Purple Schulz, um nur einige zu nennen. Und der Argentinier Pablo Ziegler, Weltstar in der Tango-Nuevo-Szene, für dessen Album „Bajo Cero“ der Bonner Toningenieur einen seiner drei Grammys erhielt.

Musikschaffende mit Geldsorgen

Becker und Genuit reden lieber leidenschaftlich über Musik, als sich zu beklagen. Aber das bleibt nicht aus. Denn die finanzielle Basis für die meisten Musikschaffenden wird immer schmaler. „Meine Preise sind annähernd dieselben wie vor 20 Jahren“, sagt Genuit. Und Becker ergänzt: „Musiker, deren neue Alben sich früher 40.000 Mal verkauften, sind heute mit 4000 Verkäufen zufrieden.“

Das Internet erweise sich für Künstler zunehmend als Fluch. Denn dort werde gestohlen, was das Zeug hält, ohne jegliches Unrechtsbewusstsein. „Leute, die niemals auf die Idee kämen, im Laden eine Tüte Chips unter den Anorak zu schieben, begreifen nicht, was Diebstahl geistigen Eigentums bedeutet“, sagt Becker.

Genuit glaubt den Grund zu kennen: „Die moderne Wegwerf-Gesellschaft mindert die Wertschätzung künstlerischen Schaffens. Früher sparte man lange für ein neues Album, ging in den Plattenladen, berührte ehrfürchtig das Cover, ließ sich einen Titel vorspielen, trug die Platte schließlich wie einen Schatz nach Hause und hörte sie wochenlang mit Genuss. Heute laden sich die Leute auf einen Schlag Hunderte Titel runter und werfen die Hälfte gleich wieder weg. Und Streaming-Dienste wie Spotify versetzen den Musikschaffenden den Todesstoß. Da müsste dein Titel schon millionenfach gespielt werden, damit du dir davon ein Brötchen kaufen kannst.“

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