Premiere im Contra-Kreis Die Mutter aller Travestiekomödien

Bonn · Studentische Wohnungsnot scheint in Oxford noch ein Fremdwort zu sein. Die jungen Herren Jack und Charly verfügen über einen hübschen Garten (Rosenhecken-Bühnenbild: Rinhard Kempf) und sogar über einen eigenen Gärtner.

 In bester Spiellaune: Szene mit (von links) David Imper, Kalle Pohl und Christine Lost. FOTO: KAJO MEYER

In bester Spiellaune: Szene mit (von links) David Imper, Kalle Pohl und Christine Lost. FOTO: KAJO MEYER

Foto: Kajo Meyer

Verknallt sind sie in Amy und Kitty, im Schreiben von Liebesbriefen aber noch ziemlich ungeübt. Einfach ein Date vereinbaren geht gar nicht. Zu einem Treffen zwischen anständigen jungen Damen und Herren gehört zwingend eine Anstandsdame. Idealerweise Charleys wohlhabende Tante aus Brasilien, die überraschend ihren Besuch angekündigt hat.

Regisseur Jan Bodinus verlagert die bekannte Geschichte um „Charleys Tante“ (der beliebte Schwank von Brandon Thomas wurde 1892 in London uraufgeführt) in die zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Man besitzt schon Telefon und Grammophon, hegt jedoch keinen Zweifel daran, dass eine Einladung zum Lunch unweigerlich zur Ehe führen muss. Natürlich verspätet sich Donna Lucias Zug. Das gehört zum festen Fahrplan dieser Mutter aller Travestiekomödien.

Glücklicherweise gibt es in Großbritannien eine schöne Tradition der Shakespeare-Pflege durch Amateurgruppen. Gärtner Brassett freut sich also auf seine erste Rolle beim „Oxford Drama Club“: als Julia, was eher auf eine Seniorenversion der Tragödie schließen lässt. Mit koketter Blume auf dem schütteren grauen Zottelhaar und schwarzen Netzstrümpfen (Kostüme: Silke von Patay und Anja Saafan) entspricht er nicht ganz der Vorstellung von einer blutjungen Veroneser Adelstochter, aber für eine südamerikanische Millionärin taugt das Ganze schon.

Die Tante läuft zur großen Form auf

Der bekannte Kabarettist Kalle Pohl spielt den in Charleys Tante verwandelten Brassett, der zunehmend Spaß an seiner Aufgabe findet. Nun gut: Es bedarf schon einiges mehr oder minder hochprozentigen Einflusses, bis die ‚Tante‘ zu großer Form aufläuft und sogar mit Gitarre zum flotten ‚Samba Brazil‘ animiert. Die ahnungslos kichernden Mädels sind von der unkonventionellen Anstandsdame jedenfalls bald fast noch hingerissener als von ihren etwas steifen Lovern. Das Schöne an der Inszenierung: Es geht nicht nur um schenkelklopfenden Geschlechtertausch, sondern um einen gesellschaftlichen Underdog, der unversehens in den höheren Kreisen benötigt wird und seine neue Macht selbstbewusst genießt. Auf die zierlichen Gartenstühle darf er sich nicht setzen, nur auf den Katzentisch-Hocker. Gut: Dann eben gleich die kuscheligen Bänke...

Angesichts von Pohls robust-sensibler Typen-Gestaltung hat der Rest es nicht leicht. Felix Bold als arroganter ‚Elitestudent‘ Jack und David Imper als schüchterner Charley behaupten sich freilich tapfer. Olja Artes (Kitty) und Christine Lost (Amy) in reizenden Charleston-Kleidern machen sehr ansehnliche Figur in der turbulenten Farce. Kay Szacknys als Jacks Pleite-Papa Sir Francis in Tropenuniform hat in der indischen Wüste die zackigen einsilbigen Reime („Black/Jack“) nicht vergessen, kann aber auch recht eloquent per Heiratsantrag um Tantchens Vermögen flehen. Wie es die Komödiengesetze vorschreiben, muss die echte Tante irgendwann auftauchen und tut das auch, elegant verkörpert von Reinhild Köhncke.

Diese Donna Lucia kennt nicht nur das legendäre Opernhaus von Manaus im brasilianischen Regenwald, sondern hat auch noch antikoloniale Pfeile und ein altes Liebesgeheimnis im Koffer. Nach zwei amüsanten Stunden inklusive Pause und prallen Pointen sind also drei Hochzeiten bestens finanziert. Gärtner Brassett darf sich immerhin auf eine mehr als solide Gehaltserhöhung freuen. Überzeugter Premierenbeifall für die Produktion, die im Sommer schon erfolgreich bei den Schlossfestspielen Neersen lief.

Nächste Vorstellungen am 15. 12. um 20 Uhr und am 16.12.um 18 Uhr. Bis zum 17. Februar fast täglich auf dem Spielplan. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops des General-Anzeigers sowie im Internet auf www.ga.de/tickets.

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