Vorsicht vor der Kältestrahlung Bonner Kunstverein stellt Jahresgaben-Schau vor

Bonn · Der Bonner Kunstverein stellt am Samstag seine Jahresgaben-Schau vor. Am Samstag werden einzelne Arbeiten in Kurzvorträgen vorgestellt.

 Anspielung auf Albrecht Dürer: Die in Berlin lebende Londonerin Babette Semmer ist mit dem Gemälde „Die Birnenschnitte“ in der Jahresgaben-Schau vertreten.

Anspielung auf Albrecht Dürer: Die in Berlin lebende Londonerin Babette Semmer ist mit dem Gemälde „Die Birnenschnitte“ in der Jahresgaben-Schau vertreten.

Foto: Benjamin Westhoff

Das Leben ist brandgefährlich, überall lauern Gefahren, vor allem durch Kältestrahlen. Der Kölner Künstler Horst Ademeit (1935 geboren) war davon überzeugt, dokumentierte die Strahlenbelastung in einem Zustand zwischen Paranoia und Dokumentationswut 40 Jahre lang mit mehreren Tausend Polaroids. Auf den sogenannten Tagesbildern waren jeweils eine Bild-Zeitung mit den Schlagzeilen des Tages sowie diverse Messinstrumente zu sehen. Mit mikroskopischer Schrift textete Ademeit die weißen Ränder der Polaroids zu: datierte Beobachtungen von Gerüchen, Geräuschen, Spuren der Kältestrahlung.

Erst zwei Jahre vor seinem Tod im Jahr 2010 wurde sein Oeuvre entdeckt. Die Kölner Galerie Delmes & Zander betreut den Nachlass. Daraus durfte Fatima Hellberg,  neue Direktorin des Bonner Kunstvereins, fünf Polaroids für die Jahresgabenausstellung haben, die für 800 Euro pro Exemplar zu kaufen sind. Sie hat weitere Objekte beigesteuert, etwa die Keramikbecher in Geschenkverpackung der Londonerin Ghislaine Leung und Leslie Thorntons Arbeit aus der Serie „Toaster With“. Auf ihren Bildern trifft ein antiker Toaster, der allein schon ein bizarres technisches Kunstwerk ist, auf ein martialisch anmutendes Fantasieobjekt. Im aktuellen Fall ist es eine Art Granate oder Bombe, die durch einen giftig-orangen Himmel rauscht. Ein faszinierendes Werk.

Rückschau und Hinweise auf das kommende Programm

Die meisten übrigen Stücke gehen auf die Amtszeit von Hellbergs Vorgängerin Michelle Cotton zurück. Insgesamt sind Werke – kleine Auflagen und Unikate – von 24 lokalen und internationalen Künstlern zu sehen. Traditionell beschließt die Jahresgabenausstellung, auf der Mitglieder Kunst kaufen können, das Ausstellungsjahr im Kunstverein. Am Samstag werden einzelne Arbeiten in Kurzvorträgen vorgestellt.

Wer genau hinsieht, bemerkt Hinweise auf das aktuelle Programm und, quasi als Vorschau, auf zukünftige   Ausstellungen. Unter den Künstlern mit Bonn-Bezug fällt Arno Beck mit seinem Blatt „Likespeed“ auf. Beck arbeitet im Atelierhaus des Kunstvereins. Robert Brambora, Peter Mertes-Stipendiat von 2018, zeigt einen Kopf im Profil mit malerischem Innenleben,  sein Stipendiaten-Pendant Stefani Glauber ist mit einer filigranen Tuschearbeit vertreten. Benoit Platéus hatte in diesem Jahr eine Ausstellung im Bonner Kunstverein: In der Jahresgabenausstellung sind drei aus Urethan gegossene Flaschen für Fotolabor-Chemikalien zu sehen. Die Wiener Künstlerin Anna-Sophie Berger bekommt 2020 eine Ausstellung im Kunstverein, aktuell sind von ihr originell bedruckte „Gelbe Seiten“ aus den USA zu sehen, die als Sozialstudie ebenso geeignet sind wie als Träger für Klischees und Wildwest-Mythen.

Preislich dürfte für jeden etwas dabei sein, vom zweiseitig gedruckten Plakat von Neven Allgeier (50 Euro) bis zur mittelformatigen Malerei von Andreas Breunig (5355 Euro), der momentan in der Malerei-Schau „Jetzt!“ im Kunstmuseum Bonn vertreten ist.  Im vergangenen Jahr war dort die hinreißende Schau von Ulla von Brandenburg zu sehen: Auch sie ist bei den Jahresgaben vertreten, mit Tusche und Papierschnitt-Collagen, die um die Welt der Zirkusleute und Gaukler kreist. Ebenfalls im Kunstmuseum wurden Arbeiten von Masar Sohail präsentiert,  der 2018 den Dorothea-von-Stetten-Kunstpreis erhielt.

Zu den Entdeckungen der Ausstellung zählen die kleinen Bilder des in London lebenden Schweizers Henrik Potter: Mit einem Hang zur Lässigkeit und Nachlässigkeit malt er seine morbiden, ironischen Bilder, die mit kleinen Schockmomenten und einem drastischen Realismus operieren. Zwei herausoperierte Zungen tippen auf ein Smartphone; ein  abgetrennter Kopf steht auf dem Scheitel, die Physiognomie ist einer Karikatur nach Potters Gesicht sehr ähnlich. Cecilia Edefalks sakral und archaisch anmutende, sehr feine und farblich ausbalancierte Malerei zählt ebenso zu den herausragenden Stücken der Schau wie die handglasierte Keramik der Kanadierin Allison Katz.

Bonner Kunstverein; bis 22. Dezember. Di-So 11-17, Do bis 19 Uhr

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