Film über Elton John Das erwartet Kinobesucher bei "Rocketman"

BONN · Der Film „Rocketman“ über Elton John ist dann gut, wenn er sich von der Musik tragen lässt. Taron Egerton, der keinerlei Ähnlichkeit mit dem Rockstar aufweist, erarbeitet sich die Figur spürbar von innen heraus.

 Das Bad in der Menge: Taron Egerton als Elton John in einer Szene des Films „Rocketman“.

Das Bad in der Menge: Taron Egerton als Elton John in einer Szene des Films „Rocketman“.

Foto: dpa

Der Erfolg des Queen-Films „Bohemian Rhapsody“ an den Kinokassen hat bewiesen, dass der Mythos der Rockmusik der 70er-Jahre auch im digitalen Zeitalter noch intakt ist. Die Stimme Freddie Mercurys hat sich mithilfe des Films direkt ihren Weg von den Vinyl-Alben der Eltern auf die Playlists der Spotify-Generation gebahnt. Ein ähnliches Revival könnte nun durch Dexter Fletchers „Rocketman“ den guten, alten Elton John ereilen. Bei diesem von John autorisierten und koproduzierten Film handelt es sich weniger um ein klassisches Biopic als um ein Juke-Box-Musical, das sich an den Lebensstationen des kriselnden Musikers entlang tastet und diese mit Songs und Tanzeinlagen unterlegt.

„Rocketman“ beginnt in einer Entzugsklinik, wo der alkohol-, kokain- und konsumsüchtige Rockstar in voller Kostümierung direkt vom Konzert in eine Gruppentherapie hineinplatzt. Ausgehend von der Gesprächsrunde taucht der Film nun in Rückblenden ein in die Kindheit, Jugend und frühen Erfolgsjahre Johns, der unter dem bürgerlichen Namen Reginald Kenneth Dwight in Nord-London während der 50er-Jahre aufwächst. Vom Vater (Steven Mackintosh) kann der schüchterne Junge keine Zuwendung erwarten. Aber auch die Mutter (Bryce Dallas Howard) ist im eigenen Narzissmus und der glücklosen Ehe gefangen.

Die Musik wird für den begabten Klavierschüler zum Ventil unerfüllter Liebessehnsüchte. Einen ersten Seelenverwandten trifft der junge Musiker in Bernie Taupin (Jamie Bell), zu dessen Songtexten ihm die Melodien nur so aus den Fingern fließen. Das erste US-Konzert im legendären Troubadour-Club in L.A. wird zur musikalischen Offenbarung. Während seine Hände „Crocodile Rock“ auf dem Klavier spielen, fliegen seine Beine förmlich in die Höhe – und das ganze Publikum schwebt gleich mit einen Meter über dem Boden. Immer wieder lässt Fletcher in den Tanz- und Musikszenen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen.

Wenn Elton auf dem Höhepunkt seiner Karriere sich vor versammelter Partygesellschaft im Pool ertränken will, taucht er singend in die Wassertiefen ab, wo die Geister seiner Kindheit ihn erwarten. In „Rocketman“ geht es nicht um totale biografische Akkuratesse, sondern um den Geist von Elton Johns Musik, die von „Your Song“ bis „I'm Still Standing“ den Treibstoff der Erzählung liefert. Den scheinbaren Widerspruch zwischen fragilem Seelenzustand und der überbordenden Exzentrik seiner öffentlichen Bühnen-Persona nutzt Fletcher als fruchtbaren Boden für ein Bio-Musical-Pic, das ebenso überdreht, sentimental, herzergreifend und reinster Pop ist, wie es Elton Johns Hits bis heute sind.

Der erste Kuss

Anders als „Bohemian Rhapsody“ begegnet „Rocketman“ der Homosexualität seines Protagonisten mit entspannter Offenheit und schwenkt in einer Liebesszene nach dem ersten Kuss nicht verschämt weg, was in Hollywood immer noch keine Selbstverständlichkeit ist. „Du wirst nie wirklich geliebt werden“ prophezeit die Mutter in all ihrer Taktlosigkeit, als der Sohn sich ihr am Telefon offenbart. Und zunächst scheint sie recht zu behalten, denn das amouröse Abhängigkeitsverhältnis zu seinem geldgierigen Manager John Reid (Richard Madden) endet im finanziellen und emotionalen Desaster. Das Happy End findet hier erst im Abspann statt, wenn in einer Fotostrecke der echte und wahre Elton John an der Seite seines heutigen Ehemannes gezeigt wird. Für den britischen Schauspieler Taron Egerton („Kingsman“/„Robin Hood“) dürfte diese Rolle der Karrieredurchbruch sein.

Egerton, der keinerlei Ähnlichkeit mit dem Rockstar aufweist, erarbeitet sich die Figur spürbar von innen heraus, singt alle Songs selbst und bringt den musikalischen Lebensgeist des exzentrischen Künstlers fassbar auf die Leinwand. Das funktioniert in den Musical- und Party-Sequenzen besser als in den tragischen Momenten, in denen Egertons Mimik oft ein wenig übersteuert wirkt. Und das gilt auch für den ganzen Film, der über weite Strecken, solange er sich von der Musik tragen lässt, ein pures Kinovergnügen ist, mit seinen ernsteren Zwischentönen jedoch zu sehr in psychologische Simplifizierungen und oberflächliches Lebensweisheit-Gedudel verfällt. ⋌Woki, Kinopolis, Stern

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