Neu im Kino Das bessere Bild

Bonn · Großartiger Liebesfilm: Céline Sciammas „Porträt einer jungen Frau in Flammen“

Nichts ist wichtiger als die Blicke in diesem Film. Beobachtende Blicke, die ihr Gegenüber genau studieren. Heimliche Blicke, die das Gesehene in der Erinnerung abspeichern wollen. Direkte Blicke, die sich treffen und in die Seele der Anderen hineinschauen. Schließlich der Blick der Kamera, mit dem all dies eingefangen und ins überlebensgroße Kinoformat transportiert wird.

Ein guter Blick ist auch die wichtigste Eigenschaft für die Malerin Marianne (Noémie Merlant), die im Jahre 1770 in einem Ruderboot auf eine abgelegene Insel vor der bretonischen Küste gebracht wird. Sie hat den Auftrag, hier ein Porträt der Tochter des Hauses anzufertigen, die sich allerdings weigert, Modell zu stehen, und schon zwei Maler vergrault hat.

Das Bild soll dem zukünftigen Ehemann in Mailand vorgelegt werden, aber Héloïse (Adèle Haenel) will sich nicht auf die arrangierte Ehe mit dem unbekannten Mann einlassen. Getarnt als Gesellschafterin versucht Marianne, das Vertrauen der Tochter zu gewinnen und sie heimlich aus dem Gedächtnis heraus zu malen. Auf langen Küstenspaziergängen studiert die Malerin Héloïse, die deren Aufmerksamkeit zunehmend als Liebesbekundung deutet. Als Marianne das Bild fertig hat, gesteht sie den eigentlichen Grund ihres Besuchs und zeigt ihr das Porträt. Die Enttäuschung in Héloïses Gesicht weicht einem herausfordernden Blick: Marianne soll ein neues, besseres Bild malen, das zeigt, wie sie wirklich ist - und dafür werde sie ihr Modell stehen. In Form eines historischen Kammerspiels, das sich immer wieder in die wilde Weite bretonischer Küstenlandschaften öffnet, hat Céline Sciamma ihr umwerfendes Liebesdrama „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ in Szene gesetzt. Der Film, der in Cannes mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet wurde, bezieht seine Spannung weniger aus den sparsam, aber genau dosierten Plotwendungen. Vielmehr sind es die sich langsam aufbauenden, unausgesprochenen Gefühlen der beiden Frauen füreinander, die sich mit zunehmender Dynamik ihren Weg bahnen. Als die Mutter von Héloïse für einige Tage verreist, bleiben die beiden Frauen zusammen mit der Zofe allein zurück.

Das Gefängnis der Insel wird zum Freiraum, in dem für kurze Zeit die Regeln patriarchaler Unterdrückung nicht mehr gelten. Hier erblüht nicht nur die Liebe zwischen Héloïse und Marianne. Auch die sozialen Hierarchien zwischen Adelstochter, Malerin und Bediensteter lösen sich auf. Schließlich gelingt es Marianne sogar, das kaum sichtbare Lächeln in Héloïses stolzem Gesicht einzufangen. Mit „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ knüpft Sciamma an ein Genre an, das sich wie etwa Jacques Rivettes „Die schöne Querulantin“ (1991) der sexuell aufgeladenen Beziehung zwischen Maler und Modell gewidmet hat.

Aber hier geht es nicht um den Kampf des künstlerischen Geniemannes mit dem eigenen Begehren, sondern um die Liebe zweier Frauen, die sich im Atelier auf Augenhöhe begegnen. In sich ruhend und vollkommen konzentriert verschreibt sich der Film seinen Protagonistinnen.

Noémie Merlant und Adèle Haenel verdienen diese totale Aufmerksamkeit und entfalten auf der Leinwand eine enorme Anziehungskraft. Ein großartiger Liebesfilm von leiser Intensität, in dem Männer - vor und hinter der Kamera - keine Rolle spielen. Rex, Neue Filmbühne

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