Ausstellung „Mit Stich und Faden“ Bonner August Macke Haus zeigt künstlerische Stickereien

Bonn · Von Ernst Ludwig Kirchner und Wassily Kandinsky bis zur Gegenwart: Das Bonner Museum August Macke Haus zeigt die Ausstellung „Mit Stich und Faden“ über künstlerische Stickerei

 Vogel in Gefahr: Vanessa Oppenhoffs Stickerei „The thorough civilian“ von 2016.

Vogel in Gefahr: Vanessa Oppenhoffs Stickerei „The thorough civilian“ von 2016.

Foto: Michael Klein

Es ist eine Bilderbuchlandschaft mit einem schwarzen und einem weißen Pferd, mit Fantasiebäumen und rosa leuchtenden Felsen, mit einer Bergkette, einem fernen Schloss und einem geradezu kindlich hingepinselten Regenbogen, der sich über die Szenerie spannt. Die Gouache mit Aquarell und Kohle, ein hohes, schlankes Bild, stammt aus einem Skizzenbuch aus dem Jahr 1911 von Franz Marc. Ein klassischer Marc mit hellen Farben, die verlaufen, kühnen Kontrasten, einem Kolorit, das man von seinen Bildern kennt. 1914/15, da war Marc bereits in den Ersten Weltkrieg gezogen, ging seine Frau Maria dran, die lockere Skizze und deren differenzierte, fließende Farbigkeit in Stickerei zu überführen – nicht gerade ein Medium, das für Spontaneität und Schnelligkeit bekannt ist. Geht das? Das Ergebnis zeigt, dass Maria Marc, selbst Malerin, die Komposition und Motive übernahm, die Farbigkeit zurückfuhr, Verläufe in einzelne Felder aufsplittete, ein ganz neues, auf die Möglichkeiten der Technik (Stickerei mit Woll-Seidengarnen in Plattstich) ausgerichtetes Farbkonzept erarbeitete. Anders als beim eher in der Sphäre der Handarbeiten angesiedelten Medium Sticken erwartet, klappt der Transfer von der flotten Zeichnung zum sehr lebendig anmutenden Stoffbild.

Nicht nur Frauensache

Da muss wohl mit manchem Klischee aufgeräumt werden, wie die interessante Ausstellung „Mit Stich und Faden. Expressionistische und zeitgenössische Kunst im Gegenüber“ im Museum August Macke Haus geradezu auffordert. Sie wirft mit exzellenten Arbeiten einen Blick auf ein unterbelichtetes Thema: die künstlerische Stickerei. Sie korrigiert das Verdikt, dass Sticken prinzipiell Frauensache sei und bestenfalls als Reproduktionsmedium tauge.

Die Ausstellung reicht zurück in die frühe Moderne, in den Expressionismus, der ohnehin Kunsthandwerk und bildende Kunst auf Augenhöhe sah. Kuratorin Ina Ewers-Schultz hat zum Beispiel Werke von Wassily Kandinsky – an der Schwelle von Jugendstil zur Abstraktion –, Ernst Ludwig Kirchner und August Macke zusammengetragen, wobei in diesen Fällen die Herren entwarfen, die Gattinnen oder Geliebten stickten. Man sieht die wunderbaren Stickereien – Akte und Ornamente auf hellem Grund –, die Kirchner für die Mansardennische seines Ateliers in Berlin-Friedenau entwarf und die Erna Schilling ausführte. Ferner stickte sie klassische Kirchner-Motive auf Kissen und Tischdecken.

Im Hause Macke bestickten seine Frau Elisabeth, seine Schwiegermutter und Katharina Koehler Wandbehänge, Kissen, sogar eine runde Tischplatte mit dem Personal und den Farben August Mackes. Über seinen frühen Tod hinaus dienten seine Bilder als Motivquellen für Textilkunst. „Es war auch ein Stück Trauerarbeit“, sagt Kuratorin Ewers-Schultz. Es gab auch Momente, in denen die eigene Kreativität befeuert wurde. So stickte Margarethe Macke, die Frau von Augusts Cousin Helmuth, nach 1930 das hochdramatische Bild „Weltuntergang“ in gedeckten Farben. Das Original ist eine visionäre Bleistiftzeichnung in Schwarz-Weiß. Kandinsky und seine Freundin Gabriele Münter korrespondierten sogar über Stickprojekte: Er sollte entwerfen, aber sie hatte auch ihre Vorstellungen. In der Ausstellung sind eine Reihe sehr guter Umsetzungen von Kandinsky durch Münter zu sehen.

Und wo bleiben die stickenden Männer? Der Expressionist Christian Rohlfs war, was kaum bekannt ist, ein virtuoser Stickkünstler. Ein witziger Ehestreit zwischen Aliens hängt in der Ausstellung. Zwischen 1906 und 1910 war er in diesem Genre aktiv, „an langen Wintertagen“, wie Karl Ernst Osthaus berichtet. Henri Matisse habe ihn besucht und ausgerufen „Il a trouvé son matérial!“ Er hat sein Material gefunden!

Sitcken in der Gegenwartskunst

Das lässt sich auch für die Gegenwartskünstler sagen, die mehr oder weniger obsessiv der Stickerei verfallen sind. In dem breiten Feld, das Ewers-Schultz zusammengetragen hat, überzeugt nicht alles, wirkt etliches arg gebastelt und erschöpft sich als rein virtuose Handarbeit. Gleichwohl gibt es spannende Ansätze wie die Erinnerungsarbeit von Sylvia Hauptvogel, die ein Fotoalbum inklusive der Transparentblätter mit abstrakten Stickereien versehen hat. Vanessa Oppenhoff illustriert stickend ihre (Alb-)Traumwelten, während Walter Bruno Brix sein bizarres Personal – etwa einen Eiervogel aus Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“ – aufmarschieren lässt. Jochen Flinzer stickt Bilder, die vorne abstrakt, hinten figurativ sind oder Schrift tragen, ein Kabinettstück. Wie Bea Meyer spontane Kritzeleien in monatelanger Arbeit in großformatige Stickerei umsetzt, wirkt zumindest imposant. Ähnlich wie der dunkle Virenraum von Alexandra Knie, ein Werk von erschreckender Aktualität: Überall sind sie, die gestickten Viren – zu schön, um ansteckend zu sein.

Die Ausstellung hat allerlei zu bieten, bestickte Teebeutel und Fotos, wilde Totenfahnen und Omas Sessel mit Erinnerungsstickerei. Sogar eine Art Tagebuch, wie es Robert Abts geschaffen hat. In seinen Arbeiten wird ohnehin das meditative Moment der Stickerei spürbar.

Das hatte wohl auch Maria Marc bewogen, nach einem Motiv ihres abwesenden Mannes zu sticken: „Ich sticke jetzt einiges, das lenkt mich doch zeitweise ab, und die alten lieben Erinnerungen tun so gut.“ Franz Marc, der noch einen herzzerreißenden Nachruf auf seinen Freund Macke geschrieben hatte, fiel im März 1916 bei Verdun.

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