Reine Vernunft ist ungenießbar

Das Kölner Kolumba-Museum verbindet Geist und Sinnlichkeit in seiner neuen Ausstellung "denken". Das Thema wird in allen erdenklichen Facetten durchdekliniert, wobei gleich zu Beginn Monika Bartholomé im Video eine für Künstler fundamentale Frage stellt.

Köln. Der Kampf des Mannes gegen den kleinen weißen Quader scheint aussichtslos zu sein: Er wendet ihn, dreht ihn, versucht ihn schließlich zu verschlingen. Hektisch verwackelte Fotos dokumentieren das verzweifelte Ringen von Bernhard Johannes Blume mit dem Artefakt.

Was der unlängst verstorbene Querdenker damit sagen wollte? Präzise formuliert er es in der Bilderstrecke. Damit's auch jeder begreift steht daneben: "Die reine Vernunft ist als reine Vernunft ungenießbar." Das Kölner Museum Kolumba hat Blumes kleine Arbeit gleich an den Anfang der neuen Ausstellung ins Treppenhaus gehängt: Sie soll zeigen, dass "denken", so der Titel der Schau, nicht bierernst sein muss.

Einer schönen Tradition folgend schließt das Museum Anfang September zwei Wochen, um sich anschließen neu sortiert, verwandelt zu präsentieren. Das Motto der inzwischen 5. Verwandlung heißt also "denken". Das Thema wird in allen erdenklichen Facetten durchdekliniert, wobei gleich zu Beginn Monika Bartholomé im Video eine für Künstler fundamentale Frage stellt.

Künstlerbücher Eine beeindruckende Auswahl von Künstlerbüchern aus der Sammlung Missmahl zählt zu den Höhepunkten der "denken"-Ausstellung. Kolumba hat dazu ein exzellentes Buch herausgebracht (35 Euro). Die Ausstellung im Kölner Museum Kolumba läuft bis zum 31. August 2012. Täglich außer Di 12-17 Uhr, Do bis 19 Uhr. Informationen: www.kolumba.deDa zeichnet eine Hand. Folgt sie dem Denken oder befördert sie das Denken? Oder verarbeitet sie Wahrgenommenes parallel mit dem Denken? In einem grandiosen Parcours wühlt sich Kolumba ins Thema hinein, geht mit einem Zyklus von Rune Mields unter dem Oberbegriff "Steinzeitgeometrie" zu den Ursprüngen der Zeichen zurück, um sich dann dem weiten Feld christlicher Symbolik zu nähern und schließlich zu Zeichen-Systemen zu gelangen, die die Welt erklären.

Eindrucksvolles Beispiel ist der aus Fragmenten bestehende Schmuckfußboden aus St. Pankratius in Oberpleis (13. Jahrhundert), der dem Menschen seinen Platz im christlich-antiken Kosmos zuweist. Nicht weit davon erzählt ein Blockbuch aus dem 15. Jahrhundert, das durch die Sammlung Renate König ins Haus kam, von der Kunst des Erinnerns.

Hoch komplizierte Piktogramme erläutern in diesem Buch über die Kunst des Erinnerns, von dem nur noch zwei Exemplare auf der Welt existieren, Zusammenhänge der Evangelien. Ein hundert Jahre später gemaltes Werk führt die "Arma Christi", die Leidenswerkzeuge der Passion, in authentischer Größe vor.

Kolumba bietet faszinierende Denkräume wie den Südturm, der das Personal aus einem prächtigen Heilig-Geist-Altar aus der Mitte des 15. Jahrhunderts mit Bernhard Leitners "RaumReflexion" (2010) konfrontiert, die mittels Parabolschüsseln Klänge in den Raum schießt und gleichsam in der Luft zerplatzen lässt.

Es gibt auch Denktische: Der Komponist Manos Tsangaris wird seinen "Implodierenden Schreibtisch" während der gesamten Ausstellungsdauer mit Material bespielen, Kolumba-Architekt Peter Zumthor zeigt auf einem anderen Tisch Skizzen zur Raumabfolge des in diesem Jahr mit den NRW-Architekturpreis ausgezeichneten Hauses. Er behandelt Räume wie Skulpturen, spielt mit ihnen, lädt sie durch Farbe emotional auf. Nichts anderes tut das Team von Kolumba mit seinen Ausstellungen.

Brillant gelungen ist die Platzierung von Dieter Kriegs sechsteiligem Zyklus mit Riesenformaten, die mit großer Geste leere Weingläser zeigen und "In der Leere ist ist nichts" Wort für Wort aufscheinen lassen. Wird hier - stotternd - die Leere hinterfragt, arbeitet ein anderer Raum mit der Fülle der Eindrücke. Jannis Kounellis' "Bürgerliche Tragödie" mit Blattgoldwand, Öllampe und Garderobenständer bietet den Hintergrund für ein Feld von Altärchen und Devotionalien, die die private Frömmigkeit beleuchten.

Von Konrad Klaphecks "Kleinem Liebesglück" über John Cages wunderbare Werkgruppe "Über die Oberfläche" bis zur "Bibliothek im Eis" von Lutz Fritsch und Farbspielen von Peter Tollens reicht das Spektrum. Was das mit "denken" zu tun hat? Darüber kann man in Kolumba schön nachdenken.

Der reduzierte Mensch: Gedanken von Joseph BeuysFriedhelm Mennekes, ehemaliger Pfarrer der Jesuitenkirche St. Peter in Köln und Gründer der Kunststation St. Peter, führte 1984 ein Gespräch mit Joseph Beuys, der unter anderem sein Motto "Jeder Mensch ist ein Künstler" erläuterte. Auszug aus dem Typoskript, das Teil der Ausstellung ist.

Joseph Beuys: "Ja, nun, der Künstler ist mir ganz suspekt geworden, vor allem, weil er sich sozusagen reduziert, aufgehoben fühlt in den alten Systemen: Der Künstler muss Maler sein oder Bildhauer oder Tänzer oder Dichter oder irgendwas, was die Leute 'Kulturelles' nennen. (...) Jeder Mensch ist ein Künstler, verlangt viel mehr vom Menschen, als das, was Künstler schließlich auch erreichen können, wenn sie wunderbare Bilder malen."

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