Bonner Jazzfest Pulsierende Stimmungsmaschine

Bonn · Ein bisschen Zirkus, etwas Varieté, Alpen- und Balkanjazz: Die Band Hildegard Lernt Fliegen heizt dem Publikum im Haus der Geschichte des Jazzfests ein. Zuvor aktivierten Bandit 65 das Gehör des Publikums

Am Freitag waren sie noch mit „70 Nasen auf der Bühne“, wie Andreas Schaerer erzählt, mit dem Babelsberg Filmorchester in Potsdam. Am Samstag dann nicht minder sinfonisch in Bonn – sechs Mann von „Hildegard Lernt Fliegen“ auf der Bühne des Hauses der Geschichte und mit dem aktuellen Programm „The Big Wig“. Eine Sternstunde dieses Jazzfests. Selten so gelacht beim Jazz, fantastische Laune und viel Spaß auf und vor der Bühne. Woran das liegt? Der charismatische Sänger, Komponist, Entertainer Schaerer reißt vom ersten Takt an mit. Seine fünf exzellenten Mitmusiker begeistern ebenso. Es ist eine einzige prustende, pulsierende Stimmungsmaschine, die dem Publikum einheizt.

Ein bisschen Zirkus, etwas Varieté, Alpen- und Balkanjazz – auf jeden Fall rasantes Tempo und ein wahres Feuerwerk musikalischer Ideen. Vom ironischen Chanson „Seven Oaks“ bis zur Moritat „Don Clemenza“ – „mit sinfonischem Schluss in fis-Moll“, wie der Schweizer Schaerer anmerkt. Dessen Stimme trötet, wimmert, schnalzt und gluckst, schwingt sich vom geschmeidigen Bariton zum schneidenden Sopran auf – ganz große Oper. Dazu umwerfende Bläsersätze mit Saxofon, Posaune, Klarinette und Tuba, einen bis zur Erschöpfung zupfenden Bassisten und ein unerbittlich einpeitschendes Schlagzeug.

Doch es sind nicht allein die Show und die Virtuosität, die das Publikum von den Sitzen reißen. Es ist die ungeheure Musikalität dieser Gruppe, die sie etwa in der wilden Suite „Zeusler“ (Schweizerisch für Zündler) unter Beweis stellt, die „Hildegard“ einmal äußerst rasant spielt und dann als „Rezeusler“ mit ganz anderem Temperament und Kolorit. Ein Blockflöten-Schlaflied, sitzend auf dem Bühnenrand dargeboten, schickt das beglückte Publikum schließlich in die Nacht.

Das war zuvor von Kurt Rosenwinkels „Bandit 65“ ideal eingestimmt worden. Klasse Musiker auch hier: Rosenwinkel (46) ist einer der ganz großen Gitarristen seiner Generation, sein Gitarrenkollege Tim Motzer spielt auch herausragend. Wie der unglaublich versierte Drummer Gintas Janusonis.

Die „Bandits“ hatten sich offenbar vorgenommen, das Gehör des Publikums zu aktivieren. So begann jedes Stück des Abends damit, dass das Plenum mit elektronischen Geräuschen geflutet wurde, eine wahre meditative Entladung, auf die nach einigen Minuten ein mehr oder weniger rockiges, vom Schlagzeug und den Gitarren in subtiler Rollenteilung zelebriertes Zwischenspiel mit einem an die Schmerzgrenze gehenden Crescendo folgte. Dieser Ausbruch kollabierte wiederum nach Minuten. Und man fand sich wieder in der gluckernden Ursuppe urtümlicher Geräusche. Die „Bandits“ ließen sich in ihrer Dramaturgie nicht stören: Immer wieder ein ähnlicher Aufbau – und doch immer etwas ganz Anderes. Schöne Einstimmung auf „Hildegard“.

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