Sinn und Zweck der Dachlatte Georg Herolds Objekte und Gedankenspiele im Kunstmuseum Bonn

Bonn · Georg Herolds Objekte und Gedankenspiele in einer exzellenten Schau des Kunstmuseums Bonn. Zu sehen sind Werke des Kölner Künstlers aus drei Jahrzehnten.

 Georg Herolds gekrümmte Dachlatten-Figur „Gram“ (2009) umringt von einem Ensemble aus dem Jahr 2015.

Georg Herolds gekrümmte Dachlatten-Figur „Gram“ (2009) umringt von einem Ensemble aus dem Jahr 2015.

Foto: Benjamin Westhoff

Ginge es streng nach dem Künstler Georg Herold, wäre unsere Kritik zu seiner ausgezeichneten und inspirierenden Ausstellung im Kunstmuseum Bonn hier schon zu Ende. Denn der 70-jährige Bildhauer, der in Köln lebt und arbeitet, misstraut den Medien, wie er überhaupt Interpretationsversuchen seiner Kunst die kalte Schulter zeigt: „Durch Erklärungen wird ein Werk nicht besser oder anders“, sagte er am Mittwoch vor der Presse, „je mehr Informationen man gibt, desto langweiliger wird die Kunst.“ Die Kuratoren der Schau, Intendant Stephan Berg und Volker Adolphs, quittierten die Breitseite gegen ihre kunsthistorische Exegese mit einem gequälten Lächeln.

Anlass der höchst produktiven Debatte im Kunstmuseum war ein zentrales Werk von Herold: „Kulturgut“ (1990), bestehend aus einer groben, kniehohen Bimssteinmauer und von der Decke herabhängenden, einfachen, amputierten Holzstühlen, deren Beine wieder willkürlich und ohne jeden funktionalen Sinn aufgepfropft wurden. Ja, man denkt bei der Mauer an einen von Donald Judd designten Grill. Ja, man erinnert sich beim Stühle-Mobile an verstümmelte Wesen von Bruce Nauman. Aber: Bringt das den Betrachter weiter?

Selbst wenn Herold, was bei ihm nie auszuschließen ist, anspielungsreich das Werk berühmter Kollegen infrage stellt, ironisch bricht oder gar zitiert, so will er das nicht in den Vordergrund rücken. „Dann glaubt man, man hat es begriffen, hakt das Werk ab und geht weiter“, sagt Herold, der lieber will, dass man anhand dieser eher groben, mit einfachsten Materialien aufgetürmten und gebastelten Arbeit den hehren Begriff „Kulturgut“ ventiliert. Die Arbeit ist eine Anmaßung, eine Provokation.

Arbeit mit "dummen" Materialien

Herold spricht nicht von armen Materialien im Sinne der Arte Povera, sondern von „dummen Materialien“, mit denen er seine Objekte zusammenzimmert, verschraubt, nagelt oder kompiliert. Rohe Dachlatten, Herolds Markenzeichen, bieten sich als banale, unspektakuläre Werkstoffe an – die Veredelung findet, wenn überhaupt, im Kopf des Betrachters statt. „Solange man auf falschen Pfaden wandert, ist alles erlaubt“, witzelt der Künstler. Er setzt auf den sinnlichen, nicht primär intellektuellen Zugang. Seine einfachen Dachlattenkonstrukte sind der Nullpunkt der Ästhetik. Von da aus geht es nur noch bergauf.

Drei Jahrzehnte von Herolds Kunst sind in einem sehr schön inszenierten, spannungsreichen Parcours versammelt. Gleich im ersten, zentralen Raum erlebt man die fünffache Metamorphose einer simplen Dachlattenfigur zum erotisch gespreizten mit einer Lackhaut überzogenen Wesen oder zur expressiven Bronzediva in Kobaltblau. Ganz in Pink räkelt sich an der Wand ein weiteres laszives Etwas. Wer genau hinsieht, erkennt einfache Lattenbündel unter der fast bis zum Reißen gespannten edlen Haut. Berg spricht von einem Stresstest – fürs Material, fürs Auge, für den Geist. „Rumsfeld“ etwa, ein Materialbild, bei dem applizierte Ziegelsteine ihren Träger, eine Leinwand, an die Grenze zum Kollaps bringen, artikuliert diesen Stresstest. Gleich macht es „Rumms“, denkt sich der Betrachter. Oder ist hier die zerstörerische Kraft des US-Politraubeins Donald Rumsfeld gemeint?

Socken in Einmachgläsern

Herold belässt es gerne bei Andeutungen. Etwa wenn er mit seinen Vitrinenarbeiten musealen Ordnungssinn simuliert, letztlich aber ad absurdum führt. In der Vitrine „Idiolatrine Module“ finden sich Dutzende angeblich in Parfüm getränkte Socken in Einmachgläsern, die mit „Chloé“, „Paloma Picasso“ oder „Lagerfeld“ beschriftet sind. Ein absurdes Sammelsurium. Bei Herold, der als gescheiterter DDR-Flüchtling auch mit der Stasi zu tun hatte, mag es eine Rolle spielen, dass die SED-Spitzel Geruchsproben von Menschen im Arbeiter- und Bauernstaat sammelten, um sie im Fluchtfall Spürhunden vor die Nase zu halten.

„Rude Museum“ ist eine weitere Vitrine mit ärmlichem Material der „Abteilungen“ „Genussmittel und Drogen“ oder „Umverteilung und Verwaltung“. Witz, Ironie, Anstoß zum Nachdenken, manchmal auch die Einsicht, dass komplexe Sachverhalte auch mit einfachsten Mitteln zu fassen sind – das bietet diese außerordentlich gute Ausstellung, die mit einer verschwenderischen Geste endet. In fünf Schüttungen, die wie Schlangenlinien – oder Fragezeichen? – aussehen, hat Herold auf sechs Metern Breite mehrere Kilo Beluga-Kaviar auf der Leinwand verbreitet – und jedes Ei nummerieren lassen. Ordnung muss sein – auch im tiefsten Chaos. Interpretation? „Ich sehe etwas und mache mir meine eigenen Gedanken“, sagt der Meister.

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