„Unheimlich - Innenräume von Edvard Munch bis Max Beckmann“ Exzellente Ausstellung im Kunstmuseum in Bonn

Bonn · Das Kunstmuseum Bonn zeigt die exzellente Ausstellung „Unheimlich - Innenräume von Edvard Munch bis Max Beckmann“ mit 110 Werken von 25 Künstlern. Wer die eigenen vier Wände bislang als gesichertes Refugium schätzte, dem begegnen in der Schau verstörende Orte tiefster Verunsicherung.

 Auguste Chabaud: Hotelflur (Couloir d'hotel). 1907/1908.

Auguste Chabaud: Hotelflur (Couloir d'hotel). 1907/1908.

Foto: Städel Museum - U. Edelmann/ART

Zwei Kinder in einer Dachkammer. Sie spielen nicht etwa gedankenverloren auf dem Teppich, sondern wirken haltlos, fast schwebend in einem Raum, der instabil anmutet, aus den Fugen zu geraten scheint. Der Betrachter blickt in diesem in einem wunderbaren, dem Auge schmeichelnden Kolorit gehaltenen Gemälde von Pierre Bonnard irgendwie von oben herab auf die Szenerie. Im Vorbeigehen sieht er gerade noch, dass sich der kleine Junge zur Linken am Fensterkreuz erhängt hat.

Trautes Heim, Glück allein – von dieser Illusion sollte sich trennen, wer die exzellente Ausstellung „Unheimlich“ im Kunstmuseum Bonn mit dem Untertitel „Innenräume von Edvard Munch bis Max Beckmann“ besucht. Die Idylle des trauten Heims bekommt Schlagseite. Wer die eigenen vier Wände bislang als gesichertes Refugium, als emotionalen Rückzugsraum schätzte, dem begegnen in der Schau verstörende Orte tiefster Verunsicherung.

Vom Heim zum Unheimlichen führt nur ein kurzer Weg, das Bedrohliche lauert hinter jeder halbgeschlossenen Tür, manchmal sitzt der blanke Horror mit auf dem Sofa. Sigmund Freud hat dem Unheimlichen 1919 einen Aufsatz gewidmet. Er begreift das Gefühl des Unheimlichen als eine bestimmte Form der Angst.

Bilder der Ausstellung "Unheimlich" im Kunstmuseum Bonn
13 Bilder

Bilder der Ausstellung "Unheimlich" im Kunstmuseum Bonn

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Der Vater der Psychoanalyse bezieht die Angst zum einen auf die Wiederkehr des Verdrängten, zum anderen auf die Wiederbelebung eines überwundenen Realitätsverständnisses. Das einst Vertraute lauert nun im Unbewussten. Vierzig Jahre vor diesem Text machten sich Künstler schon Gedanken über das Unheimliche, über gebaute Seelenräume und den Zustand, wenn das Ich nicht mehr Herr im Haus ist.

Der Kurator Volker Adolphs setzt die in der Bonner Ausstellung „HEIMsuchung“ (2013) über unsichere Räume anhand von Werken der Gegenwartskunst begonnenen Überlegungen in eine andere Richtung fort. Erneut gelingt dabei ein beeindruckendes Panorama mit 110 Werken von 25 Künstlern.Diesmal beginnt es zeitlich bei der Kunst der Nabis um Bonnard, Félix Vallotton und Édouard Vuillard in den 1880er Jahren und endet mit zwei von den Nazis verfolgten und verfemten Malern, Felix Nussbaum und Karl Hofer, in den 1930er und 1940er Jahren sowie bei deren Interieurs, die das Klima der Zeit und die Ängste spiegeln.

Ausstellung erschließt Thema analytisch in neun Kapiteln

Die Ausstellung verzichtet aber auf eine Chronologie des Unheimlichen. Adolphs erschließt das Thema vielmehr analytisch in neun Kapiteln, die fließend ineinander übergehen. Da geht es etwa um das Verschwinden des Individuums aus dem Bild, was einhergeht mit der Verselbstständigung von Räumen und Inventarstücken. Besonders gut zu sehen in Vallottons wunderbar düsterem Holzschnitt-Zyklus „Intimités“, der nicht, wie der Titel naheliegt, Vertraulichkeiten zeigt, sondern alles Schlimme, Bedrohliche und Perfide, was sich zwischen Mann und Frau in den heimischen vier Wänden abspielen kann.

Der Raum ist in seiner Enge und Trostlosigkeit nicht mehr eine Bühne für die Akteure, sondern ein Synonym für prekäre Seelenzustände, für Melancholie und Lebensüberdruss. Keiner konnte dieses brütende Gefühl intensiver malen, als der begnadete Borderliner Edvard Munch, der mit sehr guten Arbeiten vertreten ist. Im Schattenreich ist Munchs „Nachtwanderer“ rastlos unterwegs.

„Schwarz löscht die Buntheit der Welt“, steht im Ausstellungskatalog, daneben sieht man Max Thedys niederländisches Interieur, in dem sich keine Schönheit von Vermeer die Haare richtet, sondern im dunklen Schummerlicht nur zwei Klompjes, Holzschuhe, stehen. Léon Spilliaert, eine der großen Entdeckungen der Ausstellung, blickt in seinem Selbstporträt von 1908 aus diesem Schattenreich à la Edward Hopper heraus, als sei er nicht von dieser Welt.

Alfred Kubin und Max Klinger loten aus, was passiert, wenn man träumt. Schon Goya wusste, dass der Schlaf der Vernunft Dämonen gebiert. Bei den farblich delikaten Interieurs von James Ensor schwenkt die Szene ins Irre, Irrlichternde. Menschen tragen Masken, und wenn der Maler in den Spiegel blickt, schaut ihm der Tod entgegen.

Malt Ensor Muscheln und Schalentiere, entsteht ein Stimmungstableau, das zwischen Wollust und Bedrohlichkeit schwankt. Die Nature morte, wie das Stillleben auf Französisch heißt, wird lebendig, die Dinge bekommen ebenso ein Eigenleben und eine höhere Bedeutung, wie die nackten, leeren Räume. Die füllen sich bei Otto Dix und Max Beckmann nach dem Ersten Weltkrieg mit vielen, wilden Menschen und purer Verzweiflung.

Das Unheimliche sind hier die Anderen, eine Welt, in der man unbehaust ist, die man fürchtet. Dass diese Visionen und diese Ausstellung in August Mackes heile, bunte Welt münden, ist ein kluger Schachzug. Vor diesem Hintergrund erhält „Unheimlich“ eine besondere Brisanz. Eine Ausstellung, die noch lange nachwirkt.

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