Architekturbiennale Venedig Das Wohnzimmer der Republik

BONN · Ein Ereignis: Der Bonner Kanzlerbungalow im Deutschen Pavillon der Architekturbiennale Venedig.

 Von wegen autofreie Stadt: Helmut Kohls ehemaliger Dienstwagen in Venedig.

Von wegen autofreie Stadt: Helmut Kohls ehemaliger Dienstwagen in Venedig.

Foto: dpa

An diesem Platz passt rein gar nichts. Ein gepanzerter, schwarzer Mercedes ist vorgefahren - und das in Venedig, bekanntlich eine autofreie Stadt. Die Vorhänge im Fond sind halb zugezogen, als säße Kanzler Helmut Kohl, dessen Dienstwagen das war, noch drin und hielte ein Nickerchen. Neben dem Auto ein schwarz-rot-gold geflaggter Mast. Von der Kanzler-Autotür führt ein roter Teppich auf einen Protztempel zu, der mit mächtigen Pfeilern und übermenschlicher Proportion seine Prägung im Nationalsozialismus nicht verleugnen kann. Wie ein Stachel im martialischen Fleisch hat sich da etwas vom Inneren des Baus nach außen gebohrt. Ein bescheidenes Vordach - jeder Bonner, der den Kanzlerbungalow besucht hat, ist darunter durchgelaufen. Aber wir sind doch in Venedig?!

Kaum hat man den markanten Deutschen Pavillon der Biennale betreten, bekommt Sep Rufs Bungalow seinen Auftritt. Zwar haben sich die schweren Türen des Nazitempels empfindlich in das Bungalow-Dach eingegraben, doch die Präsentation im Inneren gehört Bonn, der Bonner Republik, dem 1964 von Ruf für Ludwig Erhard gebauten Dienstsitz am Rhein.

Für die 14. Architekturbiennale in Venedig, die heute eröffnet wird, haben sich die Kommissare für den deutschen Beitrag, die Schweizer Architekten Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis, eine raffinierte Architekturmontage, ein facettenreiches Denkspiel in begehbarer Umgebung ausgedacht: Zwei politische Symbolbauten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, treffen aufeinander in einem Dialog der Architekturen, der Räume und Gesten. Die Kommissare sprechen vom Phänomen des in Venedig entstandenen "dritten Raumes", in dem die Begegnung unter ganz neuen Vorzeichen stattfindet. Es ist der stärkste und konsequenteste Beitrag dieser an Höhepunkten gewiss nicht armen Biennale, bei der der Architekt und künstlerische Leiter der Biennale Rem Koolhaas die Moderne auf den Prüfstand stellt: "Absorbing Modernity: 1914-2014", lautet das Motto, die aufgesogene Moderne. Ein spannendes Thema.

"Wir öffnen die Büchse der Pandora und zeigen, was Architektur erzählen kann", sagt Lehnerer bei einer Führung durch den Bungalow. Hier das "Wohnzimmer der Nation" der Kanzler von Erhard bis Kohl, dort der wuchtige Repräsentationsbau, den Hitler für Venedig umbauen ließ. Lehnerer und Ciraicidis haben in das Zentrum des Pavillons den nachgebauten, von bodentiefen Scheiben gesäumten Patio mit dem gemauerten Kamin des Kanzlerbungalows gestellt. Beim Umrunden des Patios begegnet dem Besucher Erhards Buchregal im Arbeitszimmer.

Man nimmt Gardinen war, originale Lichtschalter und schwere Mahagoniwände - und das Kanzlersofa, beliebtestes Objekt im Pavillon. Anders als in Bonn kann man sich draufsetzten und fotografieren lassen. Großer Andrang. "Es war ein kleines archäologisches Projekt", sagt Lehnerer. In der Tat: Bonner Bungalow-Materialien - Stahl, Holz, Ziegel - wurden untersucht und für Venedig beschafft, der auf historische Textilarbeiten spezialisierte Bad Godesberger Kunsthistoriker und Raumausstatter Ulrich Heesen lieferte geschichtlich korrekte Vorhänge und baute das Kanzlersofa nach. Sein Sohn Benedikt, Architekt, gehörte zum Aufbauteam in Venedig. Bemerkenswert, wie Lehnerer und Ciriacidis auf diesen Bungalow kamen: "Wir sind beide Kinder der Kohl-Ära, haben den Bungalow im Fernsehen gesehen", verrät Lehnerer.

Für die meisten Menschen sei dieser für Normalsterbliche nicht besuchbare Ort kein realer, sondern ein reiner Medienort gewesen. Lehnerer erinnert das an ein Fernsehstudio, das man natürlich verlegen könne. Zum Beispiel nach Venedig. Was hier passiert, ist bemerkenswert: Die viel gepriesene, geradezu programmatische Transparenz des Bonner Ruf-Baus ist in Venedig aufgehoben, die in Bonn durch Mobiliar und den Genius loci noch vorhandene politische Aufladung ist an der Lagune kaum noch spürbar. Was bleibt von der Mythisierung von politischer Baukunst? Man sieht nur noch Elemente moderner, klarer Architektur, von der Erhard schwärmte: "Sie lernen mich besser kennen, wenn Sie dieses Haus ansehen, als etwa wenn sie mich eine politische Rede halten sehen." Lehnerer: Ein größeres Kompliment könne man einem Architekten nicht machen.

Der Bundeskanzlerbungalow in Venedig ist ein Ereignis. Man komme hier leichter rein als in Bonn, witzelt Lehnerer, "aber wer prüfen will, ob wir gut gearbeitet haben, muss nach Bonn fahren."

Architekturbiennale Venedig; bis 23. November. Di-So 10-18 Uhr.

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