Premiere Auf der Suche nach dem Selbst im Jungen Theater Bonn

Bonn · Premiere von „You Are The Reason“ im Jungen Theater Bonn: Hochmotiviert spielt das Nachwuchsensemble sein ganz eigenes Stück.

 Trügerische Scheinwelt: (von links) Oscar Kafsack, Eileen Rode und Tamina Friedrich.

Trügerische Scheinwelt: (von links) Oscar Kafsack, Eileen Rode und Tamina Friedrich.

Foto: Thomas Kölsch

Mehr als 150.000 Menschen verfolgen ihre Videos auf Youtube, beschenken sie mit Aufmerksamkeit und machen ihr Komplimente. Doch im realen Leben hat Eloise keine Freunde. Online kann sie sich perfekt inszenieren, offline ist sie unglücklich. Nicht alles, was glänzt, ist Gold. Das wusste nicht nur William Shakespeares „Kaufmann von Venedig“. Das wissen auch die jungen Protagonisten des Theaterstücks „You Are The Reason“, das seine Premiere im Jungen Theater Bonn (JTB) feierte.

Da ging es um falsche Freundschaften, um Likes und Follower, um eine Abhängigkeit von virtueller Aufmerksamkeit. „You Are The Reason“ präsentierte die trügerische Scheinwelt von sozialen Netzwerken. Fünf Monate lang haben sechs Schauspieler aus dem Nachwuchsensemble des JTB gemeinsam mit Intendant Moritz Seibert an diesem Stück geschrieben. Herausgekommen ist eine Theaterentwicklung, die von der übersprudelnden Energie ihrer jungen Darsteller lebt.

„You Are The Reason“ erzählt die Geschichte von Eloise (Eileen Rode), die erfolgreich mit ihren Videos auf Youtube ist, gleichzeitig aber unbeliebt in ihrer Schulklasse. Eloise will sich rächen und feiert schließlich eine Party, auf der sie mehrere Bekannte (unter anderem Oscar Kafsack, Tristan Witzel und Karl Junker) in einem Livestream bloßstellen will. Vier Kameras hat sie dafür heimlich in ihrem Wohnzimmer aufgestellt. Der Plan scheint zunächst zu funktionieren, doch dann wird die Party plötzlich von zwei Entführern aufgelöst. Unvermittelt werden die jungen Erwachsenen in einen Keller gesperrt und dort mit ihren Ängsten konfrontiert.

Hochmotiviert gespielt

Hochmotiviert spielt das Nachwuchsensemble sein ganz eigenes Stück. Die Interaktion der jungen Schauspieler untereinander gelingt. Das Ensemble wechselt mühelos von ausgelassener Feierstimmung zu einem verängstigten Kampf um Leben und Tod. Einziger Störfaktor sind die beiden Entführer (Jan Herrmann und Sandra Kernenbach), die mit ihren lauten, keifenden Stimmen zeitweise allzu sehr wie Karikaturen wirken und dadurch unbeabsichtigt die Energie des Ensembles durchbrechen.

Und dennoch: „You Are The Reason“ vertritt den Anspruch, nahe an die Lebenswelt einer jugendlichen Zielgruppe heranzutreten. Die Aufführung ist geprägt von Smartphones und einer permanenten Präsenz in der digitalen Welt. Im Kern der Erzählung geht es jedoch nur um eines: die mühselige Suche nach dem Selbst. Als ihnen durch die Entführung keine andere Wahl mehr bleibt, zeigen die Protagonisten sich verletzlich und offenbaren ihre wahrhaftigen Gefühle.

Zahlreiche unbeantwortete Fragen wirft diese Premiere auf. Wer ist verantwortlich für die Unzufriedenheit von Eloise, deren Mutter früh gestorben ist und deren Vater sie ständig allein lässt? Wer verantwortlich für die Sucht, die das Mädchen angesichts von Social Media entwickelt zu haben scheint?

Reflektierte Gedanken

Doch geht es dabei keineswegs um die bloße Kritik an sozialen Netzwerken. Durchaus reflektiert sprechen die Figuren über ihre Wünsche und Ängste, erkennen die Gefahren, gleichermaßen jedoch die Chancen der digitalen Welt.

Modern gibt sich diese Inszenierung von Intendant Moritz Seibert. Mitunter erinnert sie gar an eine Netflix-Produktion mit eigens komponierter Musik von Serge Weber, die in passenden Momenten im Hintergrund erklingt. Womöglich kann dem JTB mit dieser ebenso jungen wie modernen Produktion gelingen, was in Zeiten von Onlinestreaming schwerer geworden ist: einen Theaterbesuch für junge Erwachsene interessant zu machen. Zumindest die Premiere war bereits gut besucht. Das junge Publikum dankte dem Ensemble am Ende mit langem Applaus.

Die nächsten Aufführungen: 1., 15. und 29. Juni. Karten: in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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