Nachruf Bernardo Bertolucci im Alter von 77 Jahren gestorben

BONN · Vom „Letzten Tango“ bis zum „Letzten Kaiser“: Der wagemutige italienische Regisseur Bernardo Bertolucci ist mit 77 Jahren in Rom an Krebs gestorben.

 Lust und Leere: Filmregisseur Bernardo Bertolucci.

Lust und Leere: Filmregisseur Bernardo Bertolucci.

Foto: dpa

„Keine Namen“, versprechen Paul und Jeanne einander und halten drei Tage durch: beim nur durch spärliche Außenweltszenen und einige Dialoge unterbrochenen Sexmarathon in einem leeren Appartement. „Der letzte Tango in Paris“ schlug 1973 höhere Skandalwellen als zehn Jahre zuvor Ingmar Bergmans „Schweigen“.

Wobei Regisseur Bernardo Bertolucci hier mit dem alternden Marlon Brando und der jungen Maria Schneider eben keinen Porno drehte, sondern die psychische Entblößung oft schockierender wirkte als die körperliche. Lust als letztlich wirkungslose Medizin gegen innere Leere. Schneiders Karriere aber erholte sich von diesem Film nie, und Bertoluccis Bekenntnis, wie er und Brando die Anfängerin ahnungslos in die Szene einer Analvergewaltigung geschickt haben, löste noch jüngst Proteste aus. Ein ähnlich heillos verklammertes Paar wie Paul und Jeanne schickte der 1941 in Parma geborene Regisseur dann fast 20 Jahre später ins Verderben: Kit und Port in der Verfilmung von Paul Bowles' existenzialistischem Roman „Himmel über der Wüste“. Auch hier suchen zwei im Taumel der Begierde die Erlösung von sich selbst. Kaum jemand konnte so unbarmherzig Schlafzimmer (oder Zelte) zu Seelenräumen machen wie der nun mit 77 Jahren an Krebs gestorbene Regisseur.

Sex statt Tumult

Er hatte als Assistent von Pasolini begonnen, war Marxist und Freudianer. Auch in seinem Spätwerk „Die Träumer“ findet die Revolution freilich nur im Bett oder in der Wanne statt, weil sich die jugendlichen Helden eher für Sex als den Tumult der Straßenkämpfe interessieren.

Heikle Sujets wie im inzestuösen Mutter-Sohn-Drama „La Luna“ reizten den Regisseur ebenso wie die Herausforderungen des Kolossalkinos. Die überlange Bauern- und Klassenkampfchronik „1900“ floppte indes trotz Starbesetzung mit Burt Lancaster, Robert De Niro, Gérard Depardieu und anderen. Doch der Italiener wagte sein Monumentalcomeback mit einem extremen Auswärtsspiel. Als erster Europäer durfte er 1986 sechs Monate lang in Pekings „Verbotener Stadt“ drehen, und „Der letzte Kaiser“ wurde sein neunfacher Oscar-Triumph.

Dem dreijährigen Pu Yi werden eines Nachts seine Kindheit, seine Mutter, seine Spielkameraden gestohlen, und dafür bekommt er ein vergiftetes Geschenk: Chinas Kaiserthron. Natürlich hängt der Knirps an den Strippen der Erwachsenen, doch der Film erzählt grandios von der Menschwerdung einer Marionette. Vittorio Storaros Kamera kann sich kaum sattsehen am Goldprunk der Paläste, an um stämmige Säulen gekringelten Drachen und matt schimmernden Porzellangesichtern. Doch vor dieser Prachtfolie wirkt Pu Yis Sturz in Vaterlandsverrat und Umerziehungslager umso härter.

Optisch reiht der Film in 160 Minuten eine makellose Zuchtperle an die andere und erstickt dennoch nicht an seiner Delikatesse. Und er hat eine sensationelle Schlussszene: Wenn Pu Yi nach Gefängnis und „Läuterung“ noch einmal in „seinen“ Palast kommt, kramt er dort hinter dem Thron eine Dose aus fernen Kindertagen hervor: Die Grille, die er darin hielt, hat alle Wirren überlebt.

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