Theaterpremiere in Köln Ayad Akhtars brillantes Drama „Geächtet“

Köln · Glaubenskrieg im Luxus-Penthouse: Die Inszenierung von Kölns Intendant Stefan Bachmann wird der beeindruckenden Vorlage in jeder Hinsicht gerecht

 Trügerische Harmonie: Szene mit (v.l.) Niklas Kohrt, Thelma Buabeng, Melanie Kretschmann und Simon Kirsch.

Trügerische Harmonie: Szene mit (v.l.) Niklas Kohrt, Thelma Buabeng, Melanie Kretschmann und Simon Kirsch.

Foto: David Baltzer

Der Gott des Gemetzels hält sich anfangs zurück. Denn Karriere-Anwalt Amir Kapoor, Sohn pakistanischer Einwanderer, hat in New York scheinbar alles: ein Luxus-Penthouse mit spektakulärem Manhattan-Blick (Bühne: Simeon Meier), teure Hemden und Weine, vor allem aber die aufstrebende Malerin Emily als höchst attraktive Frau. Dass die von islamischer Kunst als Inspirationsquelle schwärmt, während er sich als erklärter Ex-Muslim an der archaischen Rückständigkeit des Korans reibt, lässt sich zunächst noch mit Konversation überbrücken.

Doch die Lunte glimmt in Ayad Akhtars Pulitzerpreis-gekröntem Stück „Geächtet“, das Stefan Bachmann gestern (in zwei aufeinanderfolgenden Aufführungen) als Kölner Premiere in der Außenstelle am Offenbachplatz inszenierte. Und sobald Amirs afroamerikanische Kollegin Jory und Emilys jüdischer Förderer Isaac als Paar zum Dinner kommen, wächst die Explosionsgefahr minütlich.

Der US-Autor, selbst ein Mann mit pakistanischen Wurzeln, lässt sein Werk zwischen Edelboulevard à la Yasmina Reza, Glaubenskrieg sowie Identitätsdrama pendeln. Und Bachmanns Inszenierung wird der brillanten Vorlage in jeder Hinsicht gerecht. Wie einen Kristall wendet sie den Text. So schillern die Fallstricke politischer Korrektheit, die Gefahren von Überanpassung und Verleugnung der eigenen Wurzeln je nach Blickwinkel irritierend widersprüchlich.

Ein blitzgescheites Denkspiel – und eine unerbittliche Eskalationsmaschine, die vom Regisseur mit feinmechanischer Finesse eingestellt ist. Man verfolgt gespannt, wie Vorurteile und Klischees den liberalen Multikulti-Smalltalk vergiften, bis irgendwann das Wort „Drecksdschihadist“ fällt. Und man ertappt sich dabei, dass man selbst Amirs radikalem Neffen (Elias Reichert) in manchem zustimmt.

Die Krone im starken Ensemble gebührt Simon Kirsch. Der braucht keine dunkel geschminkte Haut, sondern nur nuanciertes Spiel, um Amirs zeitlupenhaften Höllensturz packend zu spiegeln. Dass er seine Herkunft retuschiert hat (indisch statt pakistanisch) und seiner Frau zuliebe für einen terrorverdächtigen Imam eintrat, erzürnt nun seine jüdischen Kanzleichefs. Kirsch zeigt, wie Amirs Kulturkruste unter Misserfolgsdruck bröckelt. Und wenn nun Jory seinen Traumjob bekommt und ihn Emily mit Isaac betrügt – ja dann mutiert ausgerechnet der antireligiöse Aufsteiger zu einem jener frauenprügelnden Macho-Moslems, vor denen er die Islamversteher immer gewarnt hatte.

Diese sich selbst erfüllende Prophezeiung ist der dunkle Kern des Abends, an dem noch andere Trümpfe stechen: Melanie Kretschmann als Emily, die ihre naive Muslim-Empathie mühelos damit vereinbart, Amir (nach einem Velázquez-Gemälde) als Sklaven zu malen. Dazu Niklas Kohrts knallharter Kunstschwadroneur Isaac und Thelma Buabeng als lässig-selbstbewusste Jory mit sicherem Karriere-Instinkt.

Sie alle glänzen in dieser scotchbefeuerten Zimmerschlacht, an deren Ende Amir und Emily fast wortlos in ihren Lebenstrümmern stehen. Lebhafter Beifall für ein anregend-unbehagliches Theatererlebnis, das den Nerv unserer unruhigen Zeit trifft.

100 Minuten ohne Pause. Nächste Termine: 28. u. 30.5. sowie 17./18. u. 30.6., 20 Uhr. Karten-Tel.: (0221) 28400.

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