Tanzfestival "Into the Fields" in Bonn Auf der Spur der Körper

Bonn · Bei "Into the Fields" steht der Dialog zwischen Künstler und Publikum im Mittelpunkt. Auftakt des außergewöhnlichen Programms ist am 18. Februar

 Im Dialog mit dem Publikum: Tanzstücke bei Into the Fields

Im Dialog mit dem Publikum: Tanzstücke bei Into the Fields

Foto: Philippe Weissbrodt

Für einen Veranstalter ist das eigentlich ein Alptraum. Etwa so in der Kategorie „Schreiend und schweißgebadet“. Aber die Stimme jenes Bonner Veranstalters, der sich gerade in dem eingeschneiten Monthey zwischen Genfer See und Berner Alpen befindet, klingt ganz gelassen aus dem Telefonhörer. „Ein Drittel aller Produktionen im Programm existiert noch gar nicht“, sagt Rainald Endraß.

Mit dem Programm ist das internationale Tanzfestival „Into the Fields“ gemeint, das von Mitte Februar bis Mitte März zum fünften Mal stattfindet, kuratiert von Endraß und seiner Ehefrau Rafaele Giovanola von der Tanzcompagnie Cocoon Dance. Und ein Drittel existiert noch gar nicht? Richtig gehört?

„Das ist die Philosophie des Festivals“, erklärt Endraß. „Künstlern, deren Arbeiten wir kennen und schätzen, Vertrauen zu schenken. Denn sie sind neugierig, entwickeln sich weiter und riskieren was. Und sie sind auch sehr offen und flexibel, was den Dialog mit dem Publikum betrifft.“

Zwölf Produktionen, darunter zwei offene Proben, finden sich auf dem Tableau. Im Mittelpunkt steht der Austausch zwischen Künstlern und Publikum mit seinen besonderen Aufführungsformaten – dadurch unterscheidet sich das Festival von anderen. Unterstützt wird „Into the Fields“ von der NRW-Mittelzentrenförderung.

„Wir müssen daher zum Glück keine Rücksicht nehmen – es muss kein Event und kein Mainstream sein und es muss auch nicht unbedingt allen gefallen“, sagt Endraß. „Wir können konsequent kuratieren und auf ganz andere Kriterien achten.“

Diese künstlerische Freiheit macht ebenfalls den Charakter des renommierten Tanzfestivals aus. Davon profitieren Akteure wie Zuschauer gleichermaßen. Es gehöre ein schon bisschen Mut und Risikobereitschaft dazu, sich auf Orte einzulassen, von denen man nicht genau wisse, was einen erwartet, sagt Endraß: „Der zeitgenössische Tanz ist eine sinnliche Wahrnehmung und Erfahrung, und die findet mit dem Publikum zur selben Zeit im selben Raum zusammen statt.“

Zu den außergewöhnlichsten Erfahrungen dürfte sicherlich der Besuch einer Aufführung von „Black Out“ zählen, mit welcher die Compagnie Philippe Saire weltweit bei bislang 150 Performances gefeiert worden ist. Nach der Uraufführung in Leipzig im Herbst 2015 ist Bonn die erst zweite Station in Deutschland.

„Black Out“ verwischt die Grenzen zwischen grafischer Darstellung und Tanz und handelt vom Verschwinden, vom Sich-Auflösen. Das Publikum blickt vom Rand eines schwarzen Kubus stehend aus der Vogelperspektive auf das Geschehen: Pinsel und Figuren zugleich, malen die Tänzer auf den mit schwarzen Körnern bedeckten Bühnenboden. Haut, Licht und Dunkelheit werden zu Hauptdarstellern und entführen die Zuschauer in überraschende, assoziative Räume.

Eine offene Probe ermöglicht den Zuschauern spannende Einblicke in die neueste Produktion von Cocoon Dance, „Momentum“. Darin will die Bonner Compagnie Wissen und Praxis des „Parkour“ einbringen und in eigener Form weiter entwickeln. Endraß: „Auch wir bei Cocoon Dance merken, dass der zeitgenössische Tanz seit ein paar Jahren von anderen Bereichen sehr profitieren kann – bei ’Momentum’ ist es Parkour.“

Parkour ist eine Kunst der Fortbewegung, in der es darum geht, Hindernisse im urbanen Raum zu überwinden – ohne Hilfsmittel und in einem kontinuierlichen Bewegungsfluss. Die Akteure nennen sich „Traceure“. Aus der Subkultur heraus kommend, findet sich Parkour längst in Kinohits wie „Spider-Man“ und Daniel Craigs „James Bond“-Filmen wieder, auch in der Werbung von Weltkonzernen wie Nike. „Das ist längst Teil der Popkultur“, so Endraß.

Die Spur zu Parkour hat die sympathischen Eheleute in die Schweiz geführt, in den tief verschneiten Ort Monthey. Dort hat Cocoon Dance jüngst eine dreijährige Residenz eröffnet, in Proberäumen und Wohnungen, die sich im Gebäudekomplex eines psychiatrischen Hospitals befinden. „Wir sind aber nicht umgezogen“, betont Rafaele Giovanola ausdrücklich, „Bonn bleibt unsere Stadt!“

Für einen dreiwöchigen Recherche-Austausch wurden der Schweizer Traceur Frédéric Voeffray und seine Kompagnons eingeladen. „Was mich interessiert hat, war die Begegnung mit einer anderen Form der Bewegung – und diese zu erfahren und zu erforschen“, erklärt Giovanola. „Es ist ein spannender Austausch zweier Genres. Mir ging es aber auch um das Demontieren; eine andere Gestik, eine andere Bewegungsart zu entwickeln.“

Das Publikum werde bei „Momentum“ nicht auf einem üblichen Podest sitzen, sondern in das Geschehen einbezogen. „Es muss aber niemand tanzen, wenn er nicht will“, sagt Rafaele Giovanola beschwichtigend. „Was wir suchen in dieser ’Into the Fields’-Bewegungskultur, das sind Bewegungsabläufe und Module, die immer wieder neu genutzt werden können, in neuen Zusammenhängen.“

So ist „Momentum“, dessen Premiere erst im April angesetzt ist, ein sehr gutes Symbol für das Festival insgesamt. Das Projekt ist noch in der Entwicklungsphase, es schafft spannende interdisziplinäre Begegnungen und neue Wege.

Diese pulsierenden, innovativen und überraschenden Komponenten ziehen sich durch das ganze Programm. Ob in „Creature2 des ungarischen Duos Jozsef Trefell und Gabor Varga traditionelle Folkloretänze ein erfrischendes Update erfahren, in „Rockaby“ nach einem Kurzstück von Samuel Beckett das innen sitzende Publikum die ausgeschlossene Tänzerin durch Glasscheiben in der (vermutlich) rauen Witterung beobachtet – oder Tanz-Ikone Karel Vanek mit Guido Preuß in „Die Sehnsucht der Maybrit Illner“ die unterschätzte Körpersprache von Talkmastern interpretiert.

Die letzte Konsequenz des unkonventionellen Bonner Festivals: Der US-amerikanische Tänzer David Hernandez erhält von den alptraumfreien Veranstaltern sogar die „Carte Blanche“: völlige Handlungsfreiheit.

Alles ist offen, alles ist möglich. Man darf mehr als gespannt sein. Mögen die Tänze beginnen.

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