Im Markusdom von Venedig kamen die Musikliebhaber unter den Kirchgängern schon in der Renaissance in den Genuss hypnotischer Raumklangwirkungen. Mit seinen Emporen bot der Dom den Komponisten ideale Bedingungen, die spirituelle Qualität mehrchöriger Musik zu intensivieren.

Der Österreicher Georg Friedrich Haas hat dieses Prinzip wieder aufgegriffen. Sein „Markusdom“ ist jedoch der Kammermusiksaal der Hamburger Elbphilharmonie, dessen Galerie er in „release“ als Spielort einbezieht.

Dass Haas' auf den Kammermusiksaal zugeschnittene Musik auch im Forum der Bundeskunsthalle perfekt funktioniert, zeigte das Hamburger Ensemble Resonanz bei seinem Ausflug an den Rhein, wo es das Stück auf Einladung der Beethoven-Woche ein zweites Mal zur Aufführung brachte. Die Musik hat keinen wirklichen Anfang, sie ist schon da, wenn man den Saal betritt. Auch hier gibt es, wie in Hamburg, eine Galerie, von links und rechts über dem Publikum tönt ein Summen wie von Insektenschwärmen, erzeugt von Live-Elektronik und Streichinstrumenten. Zusätzliche klangliche Akzente setzen Harfe und Klavier auf dem mit leeren Stühlen besiedelten Podium.

Durch Veränderungen der Lautstärke, Klangfarben und harmonische Dichte von einfachen Obertonverhältnissen bis zu mikrotonalen Dissonanzballungen entsteht im Raum eine Art Klangskulptur. Nach einer Weile beginnen die Musiker langsam von der Galerie nach und nach zum Podium zu streben und greifen sich auf den Stühlen bereitliegende Instrumente, auch Dirigent Emilio Pomàrico stößt dazu: konventionelles Ende eines ungewöhnlichen Raumklangexperimentes.

Sinnvollerweise erfolgten erst nach dieser vom Publikum im ausverkauften Saal heftig beklatschten Aufführung die Grußworte zum Festkonzert vom Intendanten der Bundeskunsthallen, Rein Wolfs, und Festivalchefin und Beethoven-Haus-Vereinspräsidentin Tabea Zimmern, die bei der dann folgenden Großen Fuge op. 133 Beethovens, die in einer ensembleeigenen Streichorchesterfassung erklang, die Bratschengruppe anführte. Das komplexe Werk klingt voluminöser, aber auch weniger schroff und unmittelbar als in der originalen Fassung für Streichquartett. Das Ensemble Resonanz erwies sich hier jedoch als unglaublich virtuoses und präzise musizierender Klangkörper.

Ein Ereignis war im Anschluss auch Béla Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta, das auf den Tag genau 80 Jahre nach seiner Uraufführung, die am 21. Januar 1937 in Basel stattfand, erklang. Der geheimnisvolle Beginn der Bratschen, die unmittelbar Wirkung des zweiten Satzes oder auch die klanglichen Wirkungen des Adagio wurden an diesem Abend eindrucksvoll realisiert. Großer Applaus.

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