Konzert in der Philharmonie Vom Erwachen der Natur

Köln · Der kanadische Dirigent Yannick Nézet-Séguin gastiert mit dem Rotterdams Philharmonisch Orkest in Köln und wird vom Publikum gefeiert. Solistin in Bartóks drittem Klavierkonzert ist Hélène Grimaud.

 Hélène Grimaud und Yannick Nézet-Séguin bei der Probe in der Philharmonie.

Hélène Grimaud und Yannick Nézet-Séguin bei der Probe in der Philharmonie.

Foto: Thomas Brill

Ein bisschen reißerisch klingt der Titel „L'isola disabitata“ (Die wüste Insel) schon. Das hat Joseph Haydns Oper jedoch nicht davor bewahrt, eher ein Nischendasein im Repertoire zu führen. Mit Ausnahme der als „Sinfonia“ titulierten Ouvertüre. Der Grund für ihre Beliebtheit wird ohrenfällig, wenn man sie so spielt, wie das Rotterdams Philharmonisch Orkest es unter der Leitung seines Chefs Yannick Nézet-Séguin es in der Kölner Philharmonie vormachte. Die Spannung der langsamen Einleitung nahm den Hörer gleich gefangen, und das Sturm-und-Drang-Tosen im schnellen Teil spielten die hier noch in kleiner Besetzung antretenden Niederländer zupackend und mit hinreißendem rhythmischen Drive.

Die beiden Hauptwerke des Abends, Béla Bartóks drittes Klavierkonzert und Gustav Mahlers erste Sinfonie, waren dann aber doch Werke ganz anderen sinfonischen Kalibers. Das Klavierkonzert, bei dem die Pianistin Hélène Grimaud den anspruchsvollen Solopart übernahm, spricht sozusagen von letzten Dingen. Bartók schrieb es, als er bereits schwer an Leukämie erkrankt war, im amerikanischen Exil, und konnte es auch nicht mehr selbst vollenden. Grimaud und Nézet-Séguin waren vor allem an der expressiven Seite des Stücks interessiert. Dirigent und Pianistin haben in den vergangenen Jahren häufig zusammengearbeitet. Dass sie sich verstehen, spürte man auch an diesem Abend deutlich. Immer wieder wandte sich Nézet-Séguin ihr zu, und sie reagierte auf das Orchester, was besonders in dem schönen Wechselspiel zwischen Klavier und Holzbläsern des ersten Satzes zu beobachten war. Das einleitende, kinderliedartige Thema hatte sie zuvor mit ergreifender Schlichtheit intoniert.

Die naturhafte Stimmung des zweiten Satzes arbeiteten sie sehr schön heraus, auch wenn nicht jeder Klavierton perfekt saß. Den Schlusssatz mit seinen rasanten fugatoartigen Dialogwirbeln meisterten Orchestermusiker wie Grimaud allerdings bravourös. Als Zugabe spielte die Pianistin noch die Nummer zwei aus Sergej Rachmaninows Études-Tableaux op. 33.

Der 41-jährige Nezét-Séguin, der neben Rotterdam auch noch die Chefposten beim Philadelphia Orchestra und dem Orchestre Métropolitain seiner Heimatstadt Montreal innehat und 2020 die musikalische Leitung der New Yorker „Met“ übernimmt, ist seit jeher ein leidenschaftlicher Mahler-Dirigent. Im ersten Satz konnte man der Natur regelrecht beim Erwachen zuhören. Der Dirigent arbeitete die ungewöhnliche Figur-Grund-Beziehung traumwandlerisch sicher heraus. Mag er den tänzerischen Charakter des zweiten Satzes vielleicht auch ein wenig zu leicht genommen haben, so beeindruckte die gespielte Naivität des böhmischen Musikantentums im dritten Satz um so mehr. Im Finale produzierte das Orchester einen phänomenalen Gesamtklang. Ganz große Klasse, ganz großer Applaus und stehende Ovationen.

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