Saša Stanišićs neues Buch "Fallensteller" Uckermark und anderswo

Bonn · Zwei Jahre nach seinem Erfolgsroman „Vor dem Fest“ kehrt Saša Stanišić ins fiktive „Fürstenfelde“ zurück – aber die romantische Welt hat sich leider verändert.

 Sprachkünstler: Der deutsch-bosnische Autor Saša Stanišić am 13. März 2014 bei der Verleihung des Belletristikpreises der Leipziger Buchmesse. Stanišić erhielt die mit 15.000 Euro dotierte Auszeichnung für seinen Roman "Vor dem Fest".

Sprachkünstler: Der deutsch-bosnische Autor Saša Stanišić am 13. März 2014 bei der Verleihung des Belletristikpreises der Leipziger Buchmesse. Stanišić erhielt die mit 15.000 Euro dotierte Auszeichnung für seinen Roman "Vor dem Fest".

Foto: picture alliance / dpa

Große Kulturen sind nicht der Privatbesitz von Leuten, die zufällig im gleichen Land geboren sind wie ihre traditionellen Vertreter. Kaum einer zeigt das besser als Saša Stanišić. Mit 14 Jahren als Kriegsflüchtling nach Deutschland gekommen, hat der gebürtige Bosnier sich mit seinen Büchern „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ (2006) und „Vor dem Fest“ (2014) als einer der großen Meister der deutschen Sprache etabliert und handhabt sie, grob untertrieben formuliert, doch um einiges virtuoser als so mancher "wort-gewaltige", selbst ernannte Abendlandretter. Stanišics neues Buch „Fallensteller“ untermauert diesen Eindruck noch.

Das Buch besteht aus zwölf Erzählungen; die titelgebende ist fast selbst ein kleiner Roman, sieben weitere sind zwei Zyklen mit jeweils identischer Hauptfigur. In dreien geht es um den sympathischen Herumtreiber Mo, der auf der Suche nach Abenteuern von Köln nach Stockholm reist. „Mein Mo“ nennt ihn die namenlose Erzählerfigur – wie viel Freundschaft, vielleicht auch Liebe zwischen den beiden schwebt, bleibt absichtlich dunkel. Vier Geschichten befassen sich mit dem Businessreisenden Georg Horvath, der irgendwelche Firmenverhandlungen in Rumänien führen soll und sich am Ende stattdessen als Vogelfreund im brasilianischen Urwald wiederfindet.

Stanišić porträtiert sie und ihre skurrilen Erlebnisse präzise und mit viel Humor; der Kapitalismus EU-ropäischer Prägung bekommt genauso sein Fett weg wie sich selbst verwirklichende Flüchtlingsromantik gelangweilter Besserverdiener („Das Wasser steht uns bald unsymbolisch bis zum Hals. Die Menschenrechtsaktivisten sind auf uns aufmerksam geworden, beraten sich. Versuchen vielleicht zu erkennen, ob es sich lohnt, für uns nass zu werden“).

Ein neuer, bedrückender Ton

Einen neuen, bedrückenden Ton aber findet der Leser in der Erzählung „Fallensteller“ (sie macht knapp ein Drittel des Buches aus). Mit ihr kehrt Stanišić an den Schauplatz von „Vor dem Fest“ zurück. Bestimmt hat sich so mancher neue Geschichten aus dem nur halb fiktiven Uckermark-Städtchen „Fürstenfelde“ gewünscht. Wir bekommen sie – und haben wenig zu lachen dabei.

Denn leider ist nicht mehr das Weltmeisterjahr 2014. Als Illusion hat sich entpuppt, dass die Menschheit vielleicht endlich gelernt haben könnte, im Kleinen wie im Großen zur Abwechslung mal nett miteinander umzugehen. Es ist nicht mehr die Zeit für mystische Betrachtungen über schöne Landschaften, sondern für einen Blick auf die dunkle Seite. Im Dorf herrschen Arbeits- und Orientierungslosigkeit, Trinkerei und latente Gewalt. Stanišić selbst erscheint als „der Jugo“ – ein Weichei, das eigentlich keine Ahnung hat.

Dass die Kleinstadt berühmt geworden ist, finden die Einwohner suboptimal: „“Literatur-Touristen„ [sind] hergeradelt “auf den Spuren des Buchs„. Kamen bei Ulli vorbei, wollten Fotos machen. Musst du dir mal vorstellen! Pichelst schön in aller Ruhe deine Molle, plötzlich latscht ein Lesezirkel aus Lübeck in die Garage. Ulli hat ihnen Bier verkauft und sie rausgeschmissen, weil, was soll das?“

„Wenn bei uns ein Fenster eingeschlagen wird (...), dann haben wir mehr Angst vor dem, was entkommen sein könnte, als vor dem, der vielleicht eingestiegen ist“ – mit zwei Jahren Abstand lässt sich dieser wichtige Satz aus „Vor dem Fest“ ganz anders verstehen. Was für ein (Un-)Geist ist das wohl, der da entkommt? Und welcher Geist ist der „Fallensteller“, der sich anbietet, im Dorf die Ratten fangen zu wollen (eine davon hat er zuvor selber freigelassen)?

Ob in der Uckermark, ob in Rumänien, Schweden oder Brasilien: Aus Stanišićs Erzählungen klingt tiefe Sympathie für die Außenseiter, die Individuen; für alle, die keine Lust haben, sich anzupassen – außer Mo und Horvath sind da etwa ein Hobbymagier im Sägewerk; ein russischer Billardspieler; ein kleiner Junge, der die Gruppenfahrt ins Ferienlager furchtbar findet. Mit ihren mal heiteren, mal melancholischen Porträts zeigt uns der Autor, dass die Welt ganz andere Probleme hat, als wo einer herkommt, wie einer aussieht, wie einer sein Leben führen möchte – und dass sich die großen Probleme nicht lösen lassen ohne den ehrlichen Blick auf die kleinen.

Saša Stanišić: Fallensteller. Erzählungen. Luchterhand, 281 S., 19,99 Euro

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