Aufführung im Schauspielhaus Theater Bonn zeigt Lehrer-Drama "Frau Müller muss weg"

Bad Godesberg · Ein Festmahl für die Schauspieler: Jens Groß inszeniert „Frau Müller muss weg“ im Schauspielhaus in Bad Godesberg. Mit großem Erfolg.

Der Abend im Schauspielhaus hob an mit einem anspielungsreichen Satz, der dem Zustand vieler städtischer Immobilien gerecht wurde. „Ist ja alles marode hier“, murmelte der von Wolfgang Rüter dargestellte Bonner Schulhausmeister Nieberg selbstgesprächig, als er die exemplarisch heruntergekommene Turnhalle betrat. Das war lustig. Außer vielleicht für den im Parkett sitzenden Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan. Er ist ja auch Chef der Verwaltung in der Bundesstadt. Der knapp zweistündige, pausenlose Abend mit Lutz Hübners und Sarah Nemitz’ Stück „Frau Müller muss weg“ bot dem Publikum viel Anlass, die Sorgen des Alltags wegzulachen. Allerdings nicht auf wohlfeile und folgenlose Art, denn „Frau Müller“ wirft einen entlarvenden Blick auf menschliche Schwächen.

Die Komödie hält uns den Spiegel vor. Wer sagt, dass er sich keine Sekunde in einer der Figuren wiedererkennt, der lügt.

Schauplatz ist die von Maria Strauch (Bühne und Kostüme) wunderbar authentisch eingerichtete Turnhalle. Es ist alles da: Sprossenwand, Barren und Pferd, Medizinbälle und die lange, schmale Sitzbank. Ausstattungsstandard: frühe 1970er Jahre. Fünf Menschen sind gekommen, um die Lehrerin der 4b, Sabine Müller (Ursula Grossenbacher), loszuwerden. Sie habe die Klasse nicht im Griff, die Kinder würden leiden – und der Notenschnitt auch.

Birte Schrein als Jessica Höfel führt die Truppe mit feldwebelhafter Strenge an. Doch der Weg zum Misstrauensvotum und der sich anschließenden Demission der Müllerin ist kein gerader. Es ist leichter, einen Sack Flöhe zu hüten, als Wolf Heider (Holger Kraft), Patrick Jeskow (Wilhelm Eilers), Marina Jeskow (Lydia Stäubli) und Katja Grabowski (Lena Geyer) zu einer schlagkräftigen Truppe zu formen. Die Koalition der Willigen zerbricht an Streit und Missgunst, an peinlichen Egoismen und kleinlichen Eifersüchteleien. Sie reden gern und mit erhobenem Zeigefinger über Moral und Prinzipien; es sind nur rhetorische Phrasen.

Eine angeklagte Lehrerin und wütende Eltern

Die Autoren kennen das Leben, die Menschen und ihre Rollenspiele. Sie schauen genau hin, entzaubern die Bühnengesellschaft und verpacken ihre Demaskierungsstrategie in pointierten Dialogen. Ein Festmahl für Schauspieler. Wie positioniert sich ein kluger Regisseur zu diesem Angebot? Jens Groß, im Hauptamt Direktor des Schauspiels, führt sein inspiriertes, sich kunstvoll verausgabendes Ensemble mit sicherer Hand. Die Konflikte und die teils erotisch motivierten Annäherungen spiegeln sich in koketten Sprüngen aufs Pferd, in eindeutigem Balzverhalten oder energischen Turnübungen am Barren. Die tragende Rolle des Abends spielt jedoch das gesprochene Wort, der Austausch von Argumenten und Positionen. Und von Aggression. Es fliegen die Fetzen.

Grossenbacher als angeklagte Lehrerin erscheint überlegen und rational. In einer Projektion, einem von Lars Figge gestalteten Kurzfilm, offenbart sie jedoch ihre Verletzlichkeit. Das geschieht in der Hausmeisterwohnung. Wolfgang Rüter spielt den BVB-Fan Nieberg als einsamen, fürsorglichen, auch spleenigen, aber auch ein bisschen sinistren Mann. Solche Gestalten kennt man aus Serienmörderfilmen.

Die wilden Fünf der Aufführung sind Schrein, Kraft, Eilers, Stäubli und Geyer: jeder und jede auf seine und ihre Art einzigartig und unvergesslich. Allen voran Birte Schrein, die als Jessica den Ton bestimmt – mit einer Stimme, die sich von kratzig und brüchig zu kreissägenhaft entwickeln kann. Hängt ganz von der Situation und Jessicas Interesse ab. Holger Krafts Wolf ist arbeitslos und stammt aus dem Osten. Das mag seine maßlosen Ausbrüche erklären. Er wirkt aber auch verloren und orientierungslos. Die Inszenierung schenkt ihm ein musikalisches Motiv: „The Logical Song“ von Supertramp mit der Zeile „I know it sounds absurd / But please tell me who I am.“

Wilhelm Eilers (Patrick) glänzt als gummiweicher Opportunist und Arschkriecher, der kurze Momente von machtvollem Aus-der Haut-Fahren genießt. Als seine Frau Marina kultiviert Lydia Stäubli eine verpeilte moralische Überheblichkeit (garniert mit kleinen Spitzen gegen Bonn!). Ein kleiner Kratzer genügt, um ihre Hysterieschichten freizulegen. Lena Geyer verkörpert Katja wie ein Schilfrohr im Wind. Es dauert lange, bis sie ihr Aggropotenzial abruft.

Sie alle lernen eine Lektion an diesem Abend und erkennen sich (vielleicht) selbst. Ihnen dabei zuzusehen ist ein Vergnügen. Große Dankbarkeit im Parkett.

Die nächsten Vorstellungen: 4., 10., 20. und 28. April. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops des General-Anzeigers sowie im Internet auf www.ga.de/tickets.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort