Live-Übertragung im Bonner Rex-Kino Simon Rattle sagt den Berliner Philharmonikern Good Bye

Bonn/Berlin · Der britische Dirigent verabschiedete sich als Chef der Berliner Philharmoniker mit einer umjubelten Aufführung von Gustav Mahlers sechster Sinfonie.

 Ende einer Ära: Sir Simon Rattle nimmt die Ovationen nach seinem Abschiedskonzert in der Berliner Philharmonie entgegen.

Ende einer Ära: Sir Simon Rattle nimmt die Ovationen nach seinem Abschiedskonzert in der Berliner Philharmonie entgegen.

Foto: dpa

Vor dem letzten Konzert als Chef der Berliner Philharmoniker im Stammhaus des Orchesters hatte Sir Simon Rattle ganz bescheiden im Gastdirigentenzimmer Platz genommen, um für das Publikum, das dieses historische Ereignis am Mittwoch in den Kinosälen wie dem gut besuchten Bonner Rex-Theater verfolgte, ein bisschen aus dem Nähkästchen zu plaudern. Über sein Debüt mit den Philharmonikern, das er 1987 als junger Mann im Alter von 32 Jahren gab, und über die sechste Sinfonie von Gustav Mahler, die er damals dirigierte und die er nun auch zum Abschied von dem Orchester wieder dirigieren würde. Damals, so erzählte er, habe ihn das Taxi auf der falschen Seite der Philharmonie abgesetzt, und er sei mit einem schweren Koffer mit dem Aufführungsmaterial herumgeirrt, bis er endlich, völlig durchgeschwitzt, den Eingang gefunden habe.

Nun also hat sich mit der sechsten Sinfonie, die für den Aufführungsanlass den etwas dick aufgetragen wirkenden Titel „Tragische“ trägt, ein Kreis geschlossen. Am Ende der anderthalbstündigen Aufführung, die wie eine emotionale Weltreise anmutete, gab es Ovationen und einen großen Blumenstrauß für Rattle. Der Brite bedankte sich bei vielen Musikerkollegen persönlich, umarmte sie, bedankte sich per Mikrofon bei seinem „wunderbaren Orchester“ und beim Berliner Publikum: „Sie sind wundervoll und tief mit meinem Herzen verbunden.“

Natürlich konnte er an jenem Novembertag des Jahres 1987 noch nicht ahnen, dass er die Geschicke dieses Orchesters, das von vielen als das beste der Welt eingestuft wird, einmal 16 Jahre lang als Chefdirigent leiten würde. Als Nachfolger von Claudio Abbado hat Rattle es geöffnet, es ein bisschen vom Status eines Eliteklangkörpers, das für ein elitäres Publikum musiziert, befreit.

Musik in Wohnzimmer und Kinos gebracht

Die Philharmoniker sind mit dem Kommunikationsgenie Rattle in ihrem Auftreten zweifellos volksnäher geworden. Sei es durch die Aufführung von Igor Strawinskys Ballett „Le sacre du printemps“ mit 250 Kindern und Jugendlichen aus 25 Nationen, das in dem berühmten Film „Rhythm is it“ auf fabelhafte Weise dokumentiert wurde, oder durch Open-Air-Konzerte oder die digitale Verbreitung der Musik in Wohnzimmern und Kinos.

„Rhythm is it“ könnte im Übrigen auch als Motto über der 16-jährigen Amtszeit des Briten stehen, was auch im Abschiedskonzert wieder deutlich wurde. Wenn die Sinfonie in markanten Schritten losmarschiert, ist dieser satte Klang des Orchesters sofort unglaublich präsent. Kraftvolle Bässe, kraftvolle Streicher, brillantes Blech und Holzbläser in allen, auch extremen Lagen und dazu eine ordentliche Schlagwerkbatterie. Rattle, das zeigt sich an diesem Abend, hat die komplexe Partitur souverän im Griff, kennt den Verlauf jeder Stimme auswendig. In der von Mahler nicht letztgültig beantworteten Frage um die Reihenfolge der Binnensätze entscheidet sich Rattle für das Andante an zweiter Stelle. Wie er hier den melodischen Reichtum auskostet, ist schlicht großartig, von dem wunderbar geblasenen Solo des Englischhorn bis zum wunderschönen Gesang der Streicher.

Im Scherzo ist wieder der Rhythmiker Rattle am Werk, der sich darauf verlassen kann, dass jede noch so kleine Temponuance, die er vorgibt, vom Orchester präzise umgesetzt wird. Und wie er die musikalische Dramaturgie des Schlusssatzes aufbaute, war schließlich ganz große Klasse. Der unwirkliche Schwebezustand zwischen Idylle und totaler Katastrophe, an deren Höhepunkte schwere Holzhammerschläge ausgeführt werden, fand an diesem Abschiedsabend eine ideale musikalische Verlaufslinie. Am Wochenende gibt's dann noch zwei große unterhaltsame Konzerte in der Berliner Waldbühne. Mit dabei: Die Sängerin und Rattle-Gemahlin Magdalena Kožená, mit der er auch als Chef des London Symphony Orchestra weiter in Berlin leben wird.

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