"The Early Years" Neuer Bildband von Starfotografin Annie Leibovitz

Bonn · Ein neuer Bildband der Starfotografin Annie Leibovitz ist Geschichtsbuch und Autobiografie zugleich. „The Early Years“ spiegelt die 1970er und 1980er Jahre.

 Andy Warhol und Diana Vreeland 1976 in New York.

Andy Warhol und Diana Vreeland 1976 in New York.

Foto: Annie Leibovitz

1968 war ihr Schicksalsjahr. Die legendäre Fotografin Annie Leibovitz (69) erinnert sich: „Das erste Bild, das mich dazu brachte, zu glauben, dass ich eine Fotografin sein könnte, entstand am Hafen von Half Moon Bay durch ein Autofenster. Das war 1968, mein zweites Jahr am Art Institute.“ Eigentlich hatte sich Leibovitz am San Francisco Art Institute eingeschrieben, um Malerei zu studieren und Künstlerin zu werden. Doch dann entdeckte sie die Fotografie. Vielleicht war es auch genau andersherum: Die Fotografie entdeckte und packte die junge Leibovitz und ließ sie nicht mehr los.

Das erste Bild, die Aufnahme am Hafen von Half Moon Bay, ist Teil des Bandes „Annie Leibovitz. The Early Years, 1970-1983“. Das Motiv ist konventionell, die Komposition hingegen originell. Autofenster und Meerlandschaft erscheinen wie zwei übereinander gelegte Bilder und eröffnen eine neue, künstlerische Perspektive.

Es ging dann alles sehr schnell für Leibovitz. 1970 landete sie als Fotografin beim drei Jahre zuvor von Jann Wenner gegründeten Magazin „Rolling Stone“ und entwickelte sich zu einem der größten Stars der internationalen Fotoszene. Ihren Ruf verdankt sie maßgeblich den Stars, die sie aufgenommen hat. Die von Henri Cartier-Bresson und Robert Frank beeinflusste Leibovitz bildet dabei zumeist mehr ab als glamouröse Oberflächen. Sie lässt dem Betrachter Raum für Deutungen und provoziert ihn geradezu, in die Bilder einzutauchen.

Rund 150 großformatige Aufnahmen sind in dem 2017 erschienenen Band „Portraits 2005-2016“ versammelt. Persönlichkeiten aus Showbusiness, Wissenschaft, Kunst, Sport und Politik hat Leibovitz' Kamera für die Ewigkeit festgehalten. Manche geben sich schutzlos und offen, andere inszenieren sich selbst. Leibovitz muss man sich in diesem Prozess als geduldige Partnerin vorstellen. „Ich wünsche mir oft, meine Bilder hätten mehr Biss, mehr Schlagkraft“, schrieb sie in einem Beitrag für den Fotoband. Dafür fehlt ihr offensichtlich das subversive Temperament. Leibovitz will Menschen wie Lady Gaga, Barack Obama und Elizabeth II. darstellen, nicht bloßstellen. „Ich bin keine gute Regisseurin“, sagt sie. „Ich verlasse mich darauf, dass meine Modelle etwas projizieren, etwas zu dem Bild beitragen, und was ihnen durch den Kopf geht, schlägt sich in dem Ergebnis nieder.“

Jugend, Popkultur und Aufbruch

Der Bildband über die frühen Jahre 1970-1983 zeigt Tennessee Williams, Muhammad Ali und den nackten John Lennon mit Yoko Ono in Farbe und stilisierten Posen. Das sind Ausnahmen. Der Ton ist rauer und authentischer in den meisten der frühen Fotos, sie waren für den Tag, den journalistischen Auftrag gedacht, nicht für die Ewigkeit. Leibovitz' Talent und der Faktor Zeit haben die Schwarz-Weiß-Bilder jedoch in erzählte Geschichte verwandelt. Zu den Vorzügen des Buches gehört eine im Anhang angelegte Chronologie der wichtigsten kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Ereignisse von 1967 bis 1984.

„The Early Years“ spiegelt aber auch Leibovitz' Leben, das sich primär im Milieu von Jugend, Popkultur, Aufbruch und gesellschaftlichem Wandel abspielte. Sie hielt in den 1970er Jahren Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg fest und Richard Nixons Rücktritt als Präsident der USA. Sie begleitete die Rolling Stones 1975 bei einer Tournee und nahm 1971 den weihnachtlichen Besuchstag im Soledad Prison in Kalifornien auf. Eine bewegende Bilderserie.

Autofahren gehört zu den Leitmotiven des Bildbandes. Leibovitz' Vater Samuel sitzt 1972 am Lenkrad seines Wagens. Für ihn bedeutete Autofahren, lebendig zu sein, zu leben. Vom Vater zu den Sternen: Wer fährt da nicht alles Auto – der Boss Bruce Springsteen und Norman Mailer, Hunter S. Thompson und Tom Wolfe, Peter Falk und Mick Jagger.

Die Fotografin liebte schnelle Wagen, mit denen sie in Kalifornien unterwegs war. Der Preis der Mobilität: immer wieder Geldstrafen. Den Beamten, die sie anhielten und verwarnten, nötigte Leibovitz stets ein Foto mit ihrer Polaroid SX-70 ab. Die Serie „Somewhere on Highway 1, Highway 5, or Route 101, California, 1974-1975“ zeigt Polizisten bei der Arbeit. Manche haben für die Fotografin gelächelt – aber nie vergessen, ihr den Strafzettel auszustellen.

„Annie Leibovitz. The Early Years, 1970-1983“. Taschen, 180 S., 40 Euro.

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