Ausstellung in Bonn Licht ins Dunkel

Bonn · Das LVR-Landesmuseum Bonn zeigt das EU-Mittelalterprojekt „Europa in Bewegung. Lebenswelten im frühen Mittelalter“. 300 hochkarätige Exponate vom Kleidungsstück bis zum Prunkschwert

 Kampf mit der Schlange: Aufwendig geschmückte Gürtelschnalle aus der Zeit um 580 bis 620, gefunden in Ungarn.

Kampf mit der Schlange: Aufwendig geschmückte Gürtelschnalle aus der Zeit um 580 bis 620, gefunden in Ungarn.

Foto: Benjamin Westhoff

Olympiodoros von Theben, ein belesener Feingeist aus Ägypten, hatte viel zu tun: Wissenschaftler haben ausgerechnet, dass er in seinem rund 50-jährigen Leben deutlich über 10 000 Kilometer in Europa, Afrika und Vorderasien zurückgelegt hat – als reisender Diplomat auf dem alten römischen Wegenetz mit einem Papagei auf der Schulter im Dienst des weströmischen, später des byzantinischen Kaisers. Er war 412 bei den Hunnen-Horden, bei nubischen Nomaden im Sudan, hatte mit dem später hingerichteten Halbvandalen Stilicho zu tun, der als „letzter Feldherr der Römer“ in die Geschichte eingegangen ist. Eine blutrüstige Zeit mit Mord, Totschlag und Verrat.

Ein anderer Zeuge, den das Bonner LVR-Landesmuseum in seiner großartigen Schau „Europa in Bewegung“ aufruft, heißt Abul Abbas. Ein Elefant, der als Geschenk des Abbasiden-Kalifs Harun-al-Raschid an Karl den Großen in seinem Leben zwischen Badgad und Wesel, wo er der Legende nach infolge einer Lungenentzündung gestorben ist, mehr als 7000 Kilometer zurückgelegt hat. Für den reisefreudigen Kaiser war Abul so etwas wie eine „Air Force One“ des Mittelalters – Nutztier und Statussymbol.

Da im- und explodierte ein ganzes Reich

Krisenzeit in Europa, Migration und Flüchtlinge, Drohgebärden und Bürgerkrieg, Erosion der Werte, Identitätsprobleme, Vertreibung, Nöte mit dem Klima und der Kampf der Kulturen – alles schon da gewesen, und viel schlimmer. Da mutet der gegenwärtige Stress mit Brexit und Flüchtlingsströmen wie eine leichte Brise an – verglichen mit dem Sturm, der vor 1500 Jahren in Europa und dem Mittelmeerraum fegte. Da im- und explodierte ein ganzes Reich, eine antike Kultur wurde aufgemischt durch wandernde Völker und marodierende Heere, ausgehöhlt durch strukturelle Probleme, erschüttert durch religiöse und soziale Umbrüche sowie Bürgerkriege.

Auch eine gewisse Überheblichkeit und Dekadenz sollen beim Untergang des Römischen Reiches eine Rolle gespielt haben. Heute werden diese Untugenden und Verfallserscheinungen gerne als Krisenindikatoren herbeizitiert und auf die aktuelle Situation angewendet. Es war viel komplexer, als 476 mit der Absetzung des Kaisers Romulus Augustus das weströmische Reich aufhörte zu existieren. Das Oströmische Reich hielt sich länger: Bis 1453 Sultan Mehmed II. die byzantinische Metropole Konstantinopel eroberte.

Gewöhnlich wird beim Blick auf die Zäsur vor 1500 Jahren das dunkle Mittelalter eingeläutet und der Niedergang der antiken Kultur beklagt. Die Historiker und Archäologen des EU-Projekts Cemec (Connecting Early Medieval European Collections), ein Netzwerk frühgeschichtlicher Museen und Sammlungen etwa in Amsterdam, Athen, Bonn, Brüssel, Budapest, Dublin, Jaén und Rom, sehen das anders. In einer sensationellen Kooperation und mit der grandiosen Ausstellung „Europa in Bewegung. Lebenswelten im frühen Mittelalter“ werfen diese Partner Licht auf die vermeintlich dunkle Zeit. Das Schöne daran: Das Licht geht im Bonner LVR-Landesmuseum auf. Didaktisch auf höchstem Niveau, mit multimedialen Vermittlungstechniken, sehr klugen, mehrstufigen Erläuterungen und vor allem einer Fülle sensationeller Exponate wird hier ein eminent spannendes und bis heute prägendes Kapitel unserer Geschichte aufgerollt.

Begegnung mit Personen des gar nicht so finsteren Mittelalters

In sieben Kapiteln und mit rund 300 hochkarätigen Exponaten – darunter Waffen, Geräte, Schmuck, Grabbeigaben, kostbare Stoffe und Handschriften – der Zeit zwischen 300 und 1000 n. Chr. geht es auf die Reise durch diese bewegte und bewegende Epoche. Der Besucher lernt erst einmal die einzelnen Protagonisten kennen, zunächst etwa die Hunnen und Awaren, die Wikinger, Franken und Sasaniden, dann Persönlichkeiten wie die 991 gestorbene Kaiserin Theophanu, die Pilgerin Egeria und den ägyptischen Diplomaten Olympiodoros von Theben (beide 4. Jahrhundert) oder den norwegischen Seefahrer Ottar (9. Jahrhundert). Die sieben Kapitel – Vielfalt der Kulturen, Erbe Roms, Wissen, Glaube, Krieg und Diplomatie, Identität und Verbindungen – erschließen die hochkomplexe Zeit. Die Bonner Kuratoren Elke Nieveler, Michael Schmauder und Lothar Altringer stellen jeweils signifikante Objekte in den Mittelpunkt, angereichert durch Hologramm-Boxen, animierte Schaubilder und Texte vor Ort, in einem Begleitheft oder im ebenfalls lesenswerten Katalog.

Objekte wie das langobardische silbervergoldete Pferdezaumzeug aus Hauskirchen erzählen von einer hohen Handwerkskultur und vielfältigsten kulturellen Einflüssen. Die wunderbare Grabstele aus dem ägyptischen Fayyum dokumentiert ein Nebeneinander von ägyptischer, griechischer, koptischer und christlicher Symbolik. Eine verblüffende Entwicklung hat das Horn von Tongeren hinter sich. In heidnischen Zeiten diente das gebogene Horn in Irland zum Schwören von Eiden und für Opferriten, gelangte dann auf den Kontinent und wurde zum christlichen Reliquienbehälter.

Jedes Objekt hat seine eigene, spannende Geschichte. Bis hin zu den 300 goldenen und mit Granateinlagen verzierten winzigen Bienen aus dem Grab des Merowingerkönigs Childerich I. Der Schatz wurde 1831 gestohlen und großteils eingeschmolzen. Zwei wunderbare Gold-Bienen und etliche Kopien haben sich erhalten – und unzählige Bienen auf dem Krönungsmantel Napoleons. Er ließ das Motiv als Ersatz für die bourbonische Lilie auf Stoffe und Banner sticken, die Biene wurde zum offiziellen Wappentier.

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