„Re-Vision“ Kunstmuseum Bonn ordnet seine Sammlung neu

Bonn · „Re-Vision“ im Kunstmuseum Bonn: Ein Parcours mit 19 neuen Räumen in der Dauerausstellung. Neuzugänge und lange nicht mehr gezeigte Künstler sind zu sehen.

 Raumfüllende Wellpappe-Installation von Michael Beutler.

Raumfüllende Wellpappe-Installation von Michael Beutler.

Foto: Benjamin Westhoff

Es ist immer wieder aufregend zu sehen, welches immense Potenzial die beachtliche Bonner Kunstsammlung hat. Als Stephan Berg 2008 seinen Intendantenposten im Kunstmuseum antrat, brachte er ein neues Format ins Spiel, das der Befragung und Neusortierung der Dauerausstellung, was immer wieder zum Perspektivwechsel, zur Aktivierung des Bestands führte.

Die allerneueste Rochade, die am Sonntag im Kunstmuseum vorgestellt wird, bietet ein tolles Panorama, das von noch nie gezeigten Werken aus der Sammlung, lange nicht mehr präsentierten Künstlern, spannenden Neuzugängen – seien es Ankäufe oder Schenkungen – und neuen Konstellationen bekannter Positionen bestimmt ist. „Re-Vision“ und „Sammlungsarchäologie“ hat Berg passend seine fünfte Rochade genannt. Es ist ein großer Wurf, wird hier doch Vielfalt mit Vertiefung verbunden. Von allen bisherigen Neusortierungen ist das die Bunteste und Mutigste.

Die Spielarten der Malerei werden durchexerziert

Wieder einmal zeigt sich neben der Güte der eigenen Bestände das Gespür und Geschick des Intendanten, Sammler und Sammlungen zu fairen Konditionen ans Haus zu binden – die Sammlung Fitting präsentiert sich gerade im Erdgeschoss, die Bonner Sammlung KiCo hatte ihren spektakulären Auftritt von Mai bis August und ist auch bei „Re-Vision“ vertreten. Berg und sein Vize Christoph Schreier haben eine in sich schlüssige, unterschiedlichste Facetten präsentierende Schau in 19 Räumen komponiert.

Wer noch etwa Blinky Palermo, Ernst Wilhelm Nay oder Michael Buthe vermisst – deren Räume werden im Frühjahr an „Re-Vision“ angedockt. Ein Hausheiliger ist auch Sigmar Polke. Dessen Werke stehen unter strengster Bewachung durch einen Schäferhund von Stefan Demary, den jung verstorbenen Konzeptkünstler aus Troisdorf. Der Ironiker Demary liegt mit dem Malereiskeptiker Polke auf einer Wellenlänge. Von Polke gibt es etwa den Neuzugang „Frau Pferd“ (1975) zu sehen. Rosemarie Trockels wie ein Idol dastehende „Vase“ scheint über die bizarre Szenerie zu wachen.

Die Spielarten der Malerei durchzuexerzieren, ist eine Domäne des Hauses. Da gibt es den jungen Bonner Paul Czerlitzki mit seinem delikaten Farbraum zu entdecken. Die flüchtig-duftige Sprühkunst seiner Professorin Katharina Grosse trifft auf die gebaute Malerei von Thomas Scheibitz – als Vorgriff auf sein Bonner Solo im Januar 2018 – und die in die dritte Dimension drängende Arbeit von Jessika Stockholder.

Die Magie der Geometrie

Geometrie spielt im Raum von Helmut Federle und Thomas Arnolds eine Rolle: Bei Federle behauptet sie sich als erratisches Zeichen mit Absolutheitsanspruch oder ist als Struktur unter einer malerischen Membran noch spürbar. Arnolds nutzt das Ordnungssystem wie einer, der seinen Setzkasten befüllt. Rebecca Warrens Stele bildet einen Kontrapunkt. Vom Spiel mit der Geometrie bis zu deren Banalisierung etwa als Burlington-Sockenmuster: Diesen Weg beschritt die früh verstorbene Malerin Susanne Paesler in ihrer herausragenden Ausstellung 2016 in Bonn, wobei sie auch die hehre Gestik des Informel oder Abstrakten Expressionismus als hohle Formel entlarvte. „Re-Vision“ zeigt einen pointierten Einblick in ihr Werk.

Pathosgeschwängert präsentiert sich der Raum mit Multiples von Joseph Beuys und an den Wänden Arbeiten seiner Schüler Felix Droese, Imi Knoebel, Jörg Immendorff und Anselm Kiefer. Etwas heruntermoduliert erscheint das feine Klassikertreffen von Rune Mields, Georg Karl Pfahler, Ulrich Rückriem und Lee U Fan.

Witz und Ironie haben auch ihren Platz in der „Re-Vision“: Andreas Schulze, der hier vor zwei Jahren eine exzellente Soloschau hatte, verwandelt seinen Ausstellungsraum in ein ziemlich abgedrehtes Wohnzimmer mit einer veritablen „Schmutzecke“ aus Teppichresten, mit Stillleben und Ausblicken aus wulstigen Fensterrahmen. Passend dazu stehen die nicht minder ironischen Wohnzimmerlampen von Martin Wöhrl im Raum und hängen bizarr gedrehte Duschvorhänge von C.O. Paeffgen an der Wand.

In einem ärmlichen Schrank baumelt eine Strumpfhose mit Bürste im Schritt von Georg Herold. Von diesem sehr speziellen Ambiente führt ein direkter Weg in den anspielungsreichen Raum von Axel Lieber, zu Michael Sailstorfers Popcornmaschine und Michael Beutlers raumfüllender Installation „Elefant und Schwein im 3D-Wandteppichstall“ – eine wilde Architektur aus Wellpappe. Dieser Raum ist extremen Inszenierungen vorbehalten, zuletzt konnte man hier Franz Ackermanns „Leben und Sterben“ bewundern.

Georg Baselitz' 18-teiliger Monumentalzyklus „Straßenbild“ ist nach drei Jahren Ausleihe wieder in Bonn, trifft auf ein „Sommerbild“ von Knoebel und die wuchernde Skulptur „Noah 2010“ von Benjamin Houlihan. Auch die großartige Fotokünstlerin Astrid Klein hat man länger nicht mehr gesehen. Jetzt bekommt sie einen Raum und eröffnet eine feine Fotoserie mit frühen Porträts aus der Düsseldorfer Kunstszene von Candida Höfer, Thomas Struths „Familienleben“, mit Renate Brandts Bildnissen von Marcel Odenbach sowie Werken aus der Reihe „Monuments“ von Candice Breitz. Sie hat per Internet und Inserat Fangruppen etwa von Abba, Britney Spears, den Grateful Dead und Marilyn Manson gesucht und präsentiert sie wunderbar komponiert auf Großfotos.

Wiedersehen mit fast vergessenen Künstlern

Unbedingt sehenswert auch das Landschaftsterzett aus Boris Beckers herrlich morbiden Naturfotos, den perfekt digital gebauten und manipulierten Impressionen des Alanus-Professors Michael Reisch und den aus Dentalgips modellierten, riesigen Bergformationen von Stephan Huber, die mit allen Kräften gegen das Pathos von Berg und Kunst arbeiten.

Gerhard Hoehme war länger nicht mehr so präsent wie jetzt – etwa mit zwei noch nie gezeigten Werken aus der Bonner Sammlung. Er teilt sich seinen Raum mit Erich Reusch und seinen Staubkästen sowie mit dem Bildhauer Wolfgang Nestler. Drei Künstler, die völlig zu Unrecht im aktuellen Ausstellungswesen unterrepräsentiert sind. Wie man auch noch mit Kunst umgehen kann, zeigt schließlich Rémy Zaugg mit seiner perfekten Analyse von Paul Cézannes Gemälde „Das Haus des Gehängten“. Franz Erhard Walthers „1. Werksatz“ führt uns zurück zum Wesen des Plastischen. Rundum eine sehenswerte „Re-Vision“.

„Re-Vision“ wird am Sonntag, 11 Uhr, im Kunstmuseum Bonn eröffnet. Di-So 11-18, Mi 11-21 Uhr

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