Theater-Premiere Kammerspiele inszenieren Sartre

Bad Godesberg · Marco Storman inszeniert „Die schmutzigen Hände“ in den Kammerspielen. Warum, bleibt auch nach 110 pausenlosen Minuten offen.

 Feuer frei: Szene mit (von links) Laura Sundermann, Benjamin Berger, Maya Haddad, Philipp Basener und Daniel Breitfelder.

Feuer frei: Szene mit (von links) Laura Sundermann, Benjamin Berger, Maya Haddad, Philipp Basener und Daniel Breitfelder.

Foto: Thilo Beu

Die Halbwertszeit der Avantgarde ist kurz. Gestern noch „dernier cri“, heute schon Konvention. Lang ist es her, dass die dramatischen Werke des am 21. Juni 1905 geborenen Jean-Paul Sartre in Handbüchern und Artikeln als „Theater der Avantgarde“ vorgestellt wurden. Das war unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, als seine philosophisch grundierten Thesenstücke die Bühnen beherrschten.

Mit der Aufnahme in den Kanon verloren die an ihre Entstehungszeit gebundenen Dramen an Brisanz. Das gilt auch für Sartres 1948 erstmals aufgeführtes Stück „Die schmutzigen Hände“, das Marco Storman in den Kammerspielen zur Aufführung brachte. Sartre illustriert in dem Stück sein großes Thema Entscheidungsfreiheit am Beispiel eines politischen Mordes.

Hugo (Manuel Zschunke), ein neurotischer, intellektueller Bourgeois, ist in die kommunistische Partei eingetreten, um seiner Existenz im Sinne Sartres einen Sinn zu verleihen. Er soll den Pragmatiker Hoederer (Daniel Breitfelder) erschießen, der die offizielle Parteilinie verlassen hat. Hugo ist ein entfernter Verwandter von Shakespeares Hamlet. Er zweifelt und zaudert viel und tötet erst, als Eifersucht ins Spiel kommt. Seine leicht entflammbare Frau Jessica (Maya Haddad) hat Gefallen an Hoederer gefunden.

Reizvoll ist nach wie vor die das Stück prägende Konfrontation zwischen Hugos politdogmatischer Fixierung, die über Leichen geht, und Hoederers ideologischer Flexibilität und Menschenliebe. Diese Konstellation hat Storman erhalten, hingegen befreit er Sartres Stück weitgehend aus dem historischen Zusammenhang: Keine Rede mehr von einem von den Deutschen besetzten, fiktiven Balkanland kurz vor dem Einmarsch der Russen 1943.

Kommunismus hat gegen den Kapitalismus verloren

Die Frage ist nun, ob Storman in den 110 pausenlosen Minuten seiner ans Jetzt angedockten Inszenierung das Publikum erreicht und eine plausible Begründung dafür liefert, Sartre zu spielen. Die ehrliche Antwort: Nein.

Im Zentrum von Anika Marquardts und Anna Rudolphs Bühne steht eine Drehscheibe, die sich bewegt, wenn die Handlung von der Gegenwart (Hugo ist aus dem Gefängnis entlassen) in die Vergangenheit (Hugo plant den Mord an Hoederer) verlagert. Fatalerweise gibt Storman Hugo und Jessica schnell der Lächerlichkeit preis. Ihr mitunter spielerisches Verhältnis müssen Zschunke und Haddad in infantil anmutende Muster übersetzen. Später senken sich Fahnen herab, auf denen Logos von Apple, Chanel und Bayer zu sehen sind und vereinzelt (revolutionäre?) Fäuste. Könnte heißen: Der Kommunismus hat gegen den Kapitalismus verloren. Es regnet Flittergold, Girlanden hängen im Raum, Bühnennebel steigt auf, und in einer Traumsequenz bewegen sich die Figuren schwer bewaffnet wie in in einem somnambulen Ballett: Tanz den Terror. Das dienst nicht dem Stück, hilft allenfalls einem Regisseur, der mit seinem Stoff nichts anzufangen weiß. Zschunke lässt Storman quälend lange nackt auf der Bühne stehen.

Zum Ende, als fast schon alles vorbei ist und Zschunke, Haddad, Breitfelder und ihre Kollegen Laura Sundermann (Olga), Philipp Basener und Benjamin Berger in multiplen Rollen ihr Bestes gegeben haben, gewinnt die Produktion Substanz und Spannung. Es ist die Szene, in der Breitfelders Hoederer im Gespräch mit dem „Zerstörer“ Hugo sich für die Menschen ausspricht, sie annimmt, wie sie nun einmal sind – „mit allen ihren Sauereien und allen ihren Lastern“. Da wird deutlich, was aus diesem Abend hätte werden können.

Die nächsten Aufführungen: 28. Februar, 4., 17. und 23. März. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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