Kommentar zur Halbzeit des Beethovenfestes Jenseits der Routine

Meinung | Bonn · Beethovenfest-Intendantin Nike Wagner kann nach zwei Festivalwochen viele Erfolge vorweisen. Ein Selbstläufer ist es aber noch lange nicht, wie einige nur mäßig besuchte Konzerte zeigen.

Ein bisschen Adrenalin tut einem Musikfestival immer gut. So wie am Samstag, als mit dem Dirigenten Teodor Currentzis einer der angesagtesten Stars der Klassik-Szene ausfiel und das Orchester selbstbewusst ohne Leiter ins Rennen ging und einen sensationellen Erfolg errang. So hatte man das Publikum beim diesjährigen Beethovenfest noch nicht jubeln gehört. Die Episode zeigt, dass Dinge, die jenseits der Routine sich ereignen, unbezahlbar für die Atmosphäre eines Musikfestivals sind. Routine lässt sich auf unterschiedliche Weise durchbrechen. Inhaltlich ist Intendantin Nike Wagner mit ihrem Motto „Revolutionen“ gut aufgestellt, das zwar nicht jedes Konzert definiert, aber für viele spannende musikalische Begegnungen in den Konzertsälen sorgt.

Doch erreicht man damit die Menschen auf der Straße? Im August hatte „TNS Infratest“ die Ergebnisse einer im Auftrag der Bonner „Piraten“ erhobenen deutschlandweiten Umfrage öffentlich gemacht. Auf die Frage „Was verbinden Sie mit Bonn?“ hatten lediglich drei Prozent der Befragten mit „Beethoven“ geantwortet. Man mag über den Sinn solcher Umfragen streiten. Aber sie zeigt, dass es bis zum Beethovenjahr 2020 noch viel zu tun gibt und Beethoven kein Selbstläufer ist. Ebenso wenig wie das ihm gewidmete Bonner Festival: Nicht jedes Konzert ist zufriedenstellend besucht. Zum zweiten Bonner Abend des ausgezeichneten Ural Philharmonic Orchestra hatten sich erschreckend wenig Hörer eingefunden. Die Gründe dafür müssten genaue Analysen der Marketing-Abteilung des Beethovenfestes zutage fördern.

Um ein großes Publikum zu erreichen, muss das Beethovenfest auf die Menschen zugehen. Das zweitägige Eröffnungsfest, das die gesamte Innenstadt in einen Klangraum verwandelte, ist da eine großartiges Instrument. Doch die Volksfeststimmung lässt sich kaum über vier Wochen bis in den Herbst hinein strecken.

In den kommenden Jahren bis zum Abschluss der Sanierungsarbeiten an der Beethovenhalle wird die Lage eher noch schwieriger. Es ist noch gar nicht absehbar, wie das WCCB als Hauptersatzspielstätte von Publikum und Künstlern angenommen werden wird. Es wäre daher nicht schlecht, wenn Nike Wagner sich mit ihrer Idee eines aufblasbaren Kammermusiksaales für 500 bis 600 Besucher im Innenhof des Poppelsdorfer Schlosses durchsetzen könnte. Sicher ist, dass dessen temporäre Architektur, die von dem Architekten Hans-Walter Müllers entwickelt wurde, das Potenzial hat, nicht nur die Klassikfans neugierig zu machen. Man kennt das von den Installationen Christos. Einen Testballon lässt Wagner übrigens an den ersten drei Oktobertagen dieses Jahres im Innenhof des Schlosses steigen. In Form eines aufblasbaren, transparenten Miniaturkonzertsaales für einen Pianisten (und ein Klavier). Auch da kann Musik jenseits aller Konzertroutine entstehen.

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