Buchbesprechung "Von Adenauer zu Merkel" Hanns-Peter Schwarz blickt auf die Bonner Republik

Bonn · „Von Adenauer zu Merkel“: Die Lebenserinnerungen des 2017 verstorbenen Bonner Politologen und Historikers.

 Mit Helmuth Kohl kam es zum Bruch, nachdem Hanns-Peter Schwarz eine Biografie über den frühere Bundeskanzler veröffentlicht hatte.

Mit Helmuth Kohl kam es zum Bruch, nachdem Hanns-Peter Schwarz eine Biografie über den frühere Bundeskanzler veröffentlicht hatte.

Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb

Hans-Peter Schwarz nennt sich in seinen Lebenserinnerungen selbst den „Hauptstadtprofessor“. Dieser Begriff trifft es genau. Sein Name ist eng mit der Geschichte der Bonner Republik verbunden, deren Werden und Wachsen er als Politikwissenschaftler, Historiker und Zeitzeuge eng begleitete, analysierte und beschrieb. 13 Jahre lang bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 – die zufällig mit dem Wegzug der Bundesregierung nach Bonn zusammenfiel, hat er in Bonn gelehrt, geforscht und geschrieben, noch zwölf Jahre länger in Bad Godesberg gelebt, als er in Köln Professor war.

Schwarz verstand sich immer als politiknah, war CDU-Mitglied und griff in vielfältiger Weise aktiv in das Geschehen auf der Bonner Bühne ein. Wie wenige seiner Zeitgenossen war er ein sehr produktiver Autor, der wegweisende und gut lesbare Bücher vor allem zur Geschichte der Bundesrepublik vorlegte. Seine Adenauer-Biografie machte ihn bekannt und populär, denn Schwarz war ein hervorragender Autor.

Das kommt auch seinen Lebenserinnerungen zu Gute, die er noch selbst abgeschlossen hat, kurz bevor er im Frühjahr 2017 plötzlich verstarb. Sein Schüler und enger Weggefährte Hanns Jürgen Küsters hat sie herausgegeben. Schwarz tritt als kritischer Zeitgenosse an, erzählt und reflektiert sein Leben, seine Arbeit und seine Zeit. Privates streift er meist nur am Rande. Dabei entsteht ein Bild des Politik- und Wissenschaftsbetriebes in der jungen Republik aus Sicht eines konservativen Intellektuellen, der sehr scharf beobachtete, was sich in den Universitäten, den Parteien und den Ministerien tat.

Schwarz bleibt immer dem analytischen Blick treu und geizt mit Anekdoten. Wer jedoch hinter die Kulissen schauen will, quasi in die Werkstatt eines Wissenschaftlers, findet reichlich Stoff. Er war dabei, als die Universitäten zu Massenbetrieben heranwuchsen, als sich das akademische Leben nach 1968 vielfach veränderte. Er erlebte den Aufstieg und das Ende der Bonner Republik aus nächster Nähe mit. All das findet sich in seinem Buch. Begegnungen mit interessanten Zeitgenossen natürlich auch, die Netzwerke der Wissenschaft und der Politik.

Den Euro hielt er für einen Irrtum

Schwarz betreibt keine Nabelschau, sondern bleibt der wache Beobachter, als den ihn seine Schüler und Leser immer schätzten. Altersmilde war ihm fremd. Auch nicht in eigener Sache. Die Arbeit von Jahrzehnten wird noch einmal revidiert, Ideen und Entwürfe auf dauernde Haltbarkeit geprüft, Irrtümer eingeräumt und Fehlurteile angesprochen. Der Ton, in dem er schreibt, ist manchmal streng. Vor allem die Gegenwart der letzten Jahre machte ihm zu schaffen. In vielen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen sah er eher schwarz. Dass sich die Zeiten ändern und dass es dennoch weitergeht, ist für viele ältere Menschen eine harte Einsicht. Schwarz fällt sie erkennbar schwer. Man kann das vornehm Geschichtspessimismus nennen.

Spannend sind seine Erzählungen als Zeitzeuge. Als junger Wissenschaftler in den 50er Jahren im damals neuen Feld der Politikwissenschaft. 1968 lief er als junger Dozent hinter dem Plakat der Hamburger Studenten „Unter den Talaren, der Muff von 1000 Jahren“. Als Mitglied diverser Beratungsgremien und informeller Zirkel von Ämtern, Ministerien und Parteien bietet er interessante Einblicke in die Arbeitsweise der Politik, über monologisierende Kanzler, kluge Männer der zweiten Reihe oder sich anbahnende historische Entscheidungen. So war er früh dabei, als der Euro aus der Taufe gehoben wurde. Er hielt ihn eher für einen Irrtum, wie eine lange Reihe von Entscheidungen der Ära Kohl. Den Weg zur deutschen Einheit beobachtete er wohlwollend, aber kritisch.

Kein Wunder, dass es wegen seiner Kohl-Biografie zum Bruch mit dem Altkanzler kam. Sie stieß bei Helmut Kohl und seiner Frau auf wenig Gegenliebe. Schwarz war offenbar nicht freundlich genug in seinem Urteil. Sehr feinsinnig werden die Gräben geschildert, die sich während der Arbeit nach und nach auftaten. Schwarz war CDU-Mitglied, als Wissenschaftler aber ein Mann des unabhängigen Urteils.

Das Buch bietet weit mehr als private Rückschau. Es ist der Bericht eines intensiv gelebten Lebens für die Wissenschaft und für die Bonner Republik. Es ist gleichzeitig eine Kulturgeschichte dieses Landes aus der Sicht eines Bonner Politikwissenschaftlers. Und gut geschrieben ist es auch noch.

Hanns-Peter Schwarz, Von Adenauer zu Merkel. Lebenserinnerungen eines kritischen Zeitzeugen, Herausgegeben von Hanns Jürgen Küsters, DVA, 734 S., 50 Euro.

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