Neue CD von Marc Almond Großes Gefühlskino

Marc Almond taucht mit seinem neuen Album „Shadows And Reflections“ in die Welt des 60er-Jahre-Pop ein. Das funktioniert bestens.

 Pop und Pose: Der britische Sänger Marc Almond. FOTO: DPA

Pop und Pose: Der britische Sänger Marc Almond. FOTO: DPA

Foto: picture alliance / Jan Woitas/dp

Im Jahr 1981 betrat das englische Duo Soft Cell die große Popbühne. Mit dem Album „Non-Stop Erotic Cabaret“ begann eine glanzvolle Karriere für Marc Almond und David Ball. „Youth“ hieß einer der vielen großartigen Songs des Debütalbums. Der damals 24-jährige Almond sang mit viel Pathos von der Vergänglichkeit und beschwor „the memories of what we once were“.

Am 30. September 1992, mit Mitte dreißig, hat er das Lied in der Royal Albert Hall in London gesungen: ein unvergesslicher Moment. Seit dem 9. Juli ist der Sänger 60. Zeit für ihn, sich noch einmal mit dem alten Song auseinanderzusetzen?

Auf dem Album „Shadows And Reflections“, das am 22. September herauskommt, beschäftigt Almond sich tatsächlich mit der Vergangenheit – aber nicht mit seiner eigenen als Komponist. Er taucht stattdessen ein in die Musikwelt der 60er Jahre. „Shadows And Reflections“ enthält orchestrale Arrangements von ikonischen Liebesliedern: Songs von Burt Bacharach, The Action, The Yardbirds, Bobby Darin, Julie Driscoll, Billy Fury und den Young Rascals.

Almond ist im Herzen ein Melancholiker. Das spiegelt auch das neue Album. Titel wie „I'm Lost Without You“, „Still I'm Sad“ und „No One To Say Good Night To“ sprechen für sich. Die Lieder entfalten sich im opulenten Sound eines italienischen Filmsoundtracks der späten 60er Jahre. Das hat Almonds langjähriger Kollaborateur John Harle in die Hand genommen, der für die Arrangements verantwortlich zeichnet.

Die Stimmung des Albums hat Almond beschrieben wie eine Kurzgeschichte. Sie erzählt, beginnend mit einer Ouverture und dem Titelsong, die Geschichte eines unendlich reichen, aber rettungslos einsamen Mannes.

Der Sänger sieht ihn in einem edel ausgestatteten Raum mit Blick über die Stadt sitzen und Musik hören. Es könnten die auf „Shadows And Reflections“ versammelten Stücke sein. Teddy Randozzos „I'm Lost Without You“, 1965 gesungen von Bill Fury, geht mit hochemotionalen Streichern, sphärischen Frauenstimmen und Almonds seelenvoller Aneignung unter die Haut.

Entspannter geht er mit Songs wie Les Reeds and Barry Masons „Something Bad On My Mind“ und Burt Bacharachs „Blue On Blue“ um. Julie Driscolls „I Know You Love Me Not“ steigert er dann wieder zur großen Gefühlsoper. „Still I'm Sad“ transportiert viel von der aus Almonds Sicht befremdlichen, verunsichernden, psychedelisch angehauchten Stimmung, die manche Songs der 60er verbreiten. Der Regisseur und ausgewiesene Musikkenner Quentin Tarantino hat sich diese Qualitäten für die Soundtracks seiner Kinofilme zunutze gemacht.

Mit 60 startet Almond noch einmal durch. 2019 soll ein Album mit neuen Songs herauskommen. Zuletzt hat er Zwischenbilanz gezogen: mit „Hits And Pieces – The Best Of Marc Almond And Soft Cell“. Mit einem Stück wie „Tainted Love“ stellte sich da gleich der 80er-Jahre-Disco-Zauber von Soft Cell ein. Almond betrachtet sich als Mann der Kurzstrecke. Er wuchs in Southport im nördlichen England auf, umgeben von der Magie der Drei-Minuten-Singles.

Almond hörte Radio Caroline und Radio Luxemburg und sah im Fernsehen jede Woche „Top Of The Pops“. Das waren die Wegbereiter für die Hoffnungen und Träume des Sängers.

Er verwirklichte sie mit Songs wie „Memorabilia“, „Torch“ und „What“. Mit Gene Pitney nahm er „Something's Gotten Hold Of My Heart“ auf, mit Bronski Beat „I Feel Love/Johnny Remember Me“. Es waren große Momente des Pop.

Die Almond-Werkschau präsentierte aber auch den gereiften Chansonnier, der sich nicht zufällig dem belgischen Meister Jacques Brel und dem Franzosen Charles Aznavour nahe fühlt. Von Aznavour stammt das großartige Chanson „Sa jeunesse“: „Youth“ auf Französisch.

Marc Almond: Shadows And Reflections. BMG.

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