Beethoven-Woche in Bonn Experimente im Klanglabor

Bonn · Auftakt der Bonner Beethoven-Woche im Kammermusiksaal und in der Bundeskunsthalle mit der Hammerklaviersonate und einer Uraufführung

Die Hammerklaviersonate wird nicht leichter, wenn man sie nicht spielt“, soll Daniel Barenboim einmal über Beethovens Opus Magnum in der Gattung Klaviersonate gesagt haben. Beethoven sah das Werk als sein größtes an, lange galt es gar als unspielbar und erntete vor allem eines: Unverständnis. Warum das so ist, konnte man bei der Eröffnung der Beethoven-Woche im Kammermusiksaal gut nachvollziehen. Alexander Melnikov spielte dort, nach dem bereits nachmittags der Musikwissenschaftler Hans-Joachim Hinrichsen über das Werk referiert hatte und OB Ashok Sridharan und Hausherr Malte Boecker den Konzertabend eröffnet hatten, besagte Hammerklaviersonate. Das Ergebnis war schockierend.

Das lag zum einem an dem Zustand des Fortepianos von Conrad Graf, das einige Jahre (1835) nach Beethovens Tod gebaut wurde und aus der Sammlung des niederländischen Restaurators Edwin Beunk stammte. Die Stimmung war, mit Verlaub, grottenschlecht. Offensichtlich hatten dem wertvollen Instrument der Transport oder die klimatischen Verhältnisse zu sehr zugesetzt.

Das unbefriedigende Ergebnis lag aber nicht nur am Zustand des Graf-Flügels, sondern auch am Pianisten. Eigentlich hat Melnikov Erfahrung mit historischen Instrumenten, mit ihren speziellen Tastenmensuren und ihrer gegenüber modernen Flügeln differierenden Spielart. Doch im Beethoven-Haus preschte er ohne Punkt und Komma durch die Rahmensätze und hämmerte Beethovens Notentext mit unterschiedsloser Wucht – und zahlreichen Gasttönen – in die Tasten. Allein im Adagio, das Flügel wie Interpret nicht gleich an ihre Grenzen brachte, vermochte man so etwas wie Ansätze einer durchdachten Gestaltung zu erkennen.

In der Pause wurde nachgestimmt, so dass der Graf-Flügel sauberer, wenn auch nicht optimal klang. Und auch Melnikov kam mit dem Instrument in der zweiten Konzerthälfte deutlich besser zurecht. In Franz Schuberts Wanderer-Fantasie wirkte das Spiel des Pianisten deutlich klarer, schlanker, entschlackter. Hier brachte der Flügel nicht den Interpreten oder die Musik das Instrument an ihre Grenzen, sondern der Interpret offenbarte, zu welchen Nuancen solche Instrumente fähig sind. Das Adagio etwa begann mit dumpfen, sehr weichen und obertonarmen Klängen. Eine Offenbarung, ebenso wie die flirrende, ätherische Melodie im Diskant, die Melnikov sehr organisch in wüstes und hochdramatisches Getümmel münden ließ.

Auch die erste Sonate von Johannes Brahms funktionierte erstaunlich gut. Die hymnische Eröffnung des Kopfsatzes etwa, das Frage-Antwort-Spiel des langsamen Satzes oder das pointiert Scherzo gelangen Melnikov vortrefflich. Hier war man wieder mit Instrument, Interpret und Musik versöhnt.

Nach der Uraufführung in der Elbphilharmonie ein Gastspiel in Bonn

Im Markusdom von Venedig kamen die Musikliebhaber unter den Kirchgängern schon in der Renaissance in den Genuss hypnotischer Raumklangwirkungen. Mit seinen Emporen bot der Dom den Komponisten ideale Bedingungen, die spirituelle Qualität mehrchöriger Musik zu intensivieren. Der Österreicher Georg Friedrich Haas hat dieses Prinzip wieder aufgegriffen. Sein „Markusdom“ ist jedoch der Kammermusiksaal der Hamburger Elbphilharmonie, dessen Galerie er in „release“ als Spielort einbezieht.

Dass Haas' auf den Kammermusiksaal zugeschnittene Musik auch im Forum der Bundeskunsthalle perfekt funktioniert, zeigte das Hamburger Ensemble Resonanz bei seinem Ausflug an den Rhein, wo es das Stück auf Einladung der Beethoven-Woche ein zweites Mal zur Aufführung brachte. Die Musik hat keinen wirklichen Anfang, sie ist schon da, wenn man den Saal betritt. Auch hier gibt es, wie in Hamburg, eine Galerie, von links und rechts über dem Publikum tönt ein Summen wie von Insektenschwärmen, erzeugt von Live-Elektronik und Streichinstrumenten. Zusätzliche klangliche Akzente setzen Harfe und Klavier auf dem mit leeren Stühlen besiedelten Podium.

Durch Veränderungen der Lautstärke, Klangfarben und harmonische Dichte von einfachen Obertonverhältnissen bis zu mikrotonalen Dissonanzballungen entsteht im Raum eine Art Klangskulptur. Nach einer Weile beginnen die Musiker langsam von der Galerie nach und nach zum Podium zu streben und greifen sich auf den Stühlen bereitliegende Instrumente, auch Dirigent Emilio Pomàrico stößt dazu: konventionelles Ende eines ungewöhnlichen Raumklangexperimentes.

Sinnvollerweise erfolgten erst nach dieser vom Publikum im ausverkauften Saal heftig beklatschten Aufführung die Grußworte zum Festkonzert vom Intendanten der Bundeskunsthallen, Rein Wolfs, und Festivalchefin und Beethoven-Haus-Vereinspräsidentin Tabea Zimmern, die bei der dann folgenden Großen Fuge op. 133 Beethovens, die in einer ensembleeigenen Streichorchesterfassung erklang, die Bratschengruppe anführte. Das komplexe Werk klingt voluminöser, aber auch weniger schroff und unmittelbar als in der originalen Fassung für Streichquartett. Das Ensemble Resonanz erwies sich hier jedoch als unglaublich virtuoses und präzise musizierender Klangkörper.

Ein Ereignis war im Anschluss auch Béla Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta, das auf den Tag genau 80 Jahre nach seiner Uraufführung, die am 21. Januar 1937 in Basel stattfand, erklang. Der geheimnisvolle Beginn der Bratschen, die unmittelbar Wirkung des zweiten Satzes oder auch die klanglichen Wirkungen des Adagio wurden an diesem Abend eindrucksvoll realisiert. Großer Applaus.

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