Ludwig van Beethoven Ein unbekannter Schatz

Bonn/Recklinghausen · Michael Korstick spielt beim Klavierfestival Ruhr Beethovens Klavierkonzert Nr. 6, das nur als Fragment überliefert ist.

 Konzentriert: Michael Korstick am Klavier.

Konzentriert: Michael Korstick am Klavier.

Foto: Promo

Als Ludwig van Beethoven 1809 die Arbeit an seinem Klavierkonzert Nr. 5 beendete, war die Gattung für ihn abgehakt. Eine Nummer sechs sollte nicht mehr folgen. Doch das Klavierfestival Ruhr scheint es besser zu wissen und kündigt für kommende Woche die Aufführung von Beethovens Klavierkonzertes Nr. 6 in D-Dur an. Wer dabei an Beethovens eigene Bearbeitung des Violinkonzertes für Klavier und Orchester in D-Dur denkt, liegt falsch. Denn tatsächlich hat sich Beethoven in den Jahren 1814/1815 noch einmal intensiv mit der Gattung auseinandergesetzt.

„Es ist die längste Skizze, die Beethoven je aufgeschrieben hat“, sagt der Pianist Michael Korstick, der am kommenden Donnerstag im Recklinghausener Ruhrfestspielhaus am Flügel sitzen wird, während der Komponist und Dirigent Peter Ruzicka die Neue Philharmonie Westfalen leiten wird. „Wir haben die komplette Exposition des ersten Satzes“, sagt der Pianist, der aufgrund seiner außerordentlichen Kenntnis der Werke des Komponisten auch „Dr. Beethoven“ genannt wird. Ein paar Jahre lang lebte der gebürtige Kölner sogar in Beethovens Geburtsstadt Bonn – bis er 2014 einem Ruf als Professor nach Linz folgte, wo er an der Anton Bruckner Privatuniversität unterrichtet.

Die Exposition liege in der Skizze sogar instrumentiert vor, weiß Korstick, der das unvollendete Werk im Beethoven-Haus gründlich studiert hat. „Das sind etwa 200 Takte, was eine ganze Menge ist. Das Problem ist, dass bei Beethoven nie absehbar war, wie er eine Durchführung und eine Reprise gesetzt hätte. Deshalb ist eine Rekonstruktion immer sehr problematisch.“ Der britische Musikwissenschaftler Nicholas Cook hat diese Arbeit dennoch auf sich genommen. Allerdings ließ er die Kadenz aus, die vor einiger Zeit der in Bonn lebende Dirigent und Musikwissenschaftler Hermann Dechant ergänzt hat. Zur Freude von Michael Korstick: „Er traut sich, mit dem leichten Schmunzeln an die Sache heranzugehen, das Beethovens Humor entspricht. Sein Name müsste eigentlich auch auf dem Titelblatt stehen.“

Eine wirklich schlüssige Erklärung, warum Beethoven die Arbeit an dem Werk abbrach, haben weder die Beethovenforschung noch Korstick. „Möglicherweise war ihm die Motivation abhanden gekommen“, mutmaßt er. Es sei ja für Beethoven eine Zeit des Experimentierens gewesen. Der Komponist habe sich gerade auf der Schwelle zum Spätwerk befunden, wo er sich dann mit ganz anderen, sehr komplexen kompositorischen Problemen auseinandersetzte, die Korstick im Klavierkonzert so nicht angelegt sieht. Dennoch meint er: „Wer Beethoven schätzt, sollte sich freuen, auch mal etwas hören zu können, was Beethoven absichtlich nicht zu Ende geschrieben hat. Und sich dann die Frage stellen, warum er das vielleicht nicht getan hat.“

Neben Beethoven spielt Korstick noch eine echte Uraufführung: Die „Tag- und Nachtstücke für Klavier und Orchester“ op. 44 von Walter Braunfels. Er schrieb sie, nachdem er als „Halbjude“ von den Nazis seines Amtes als Direktor der Kölner Musikhochschule enthoben worden war und von 1933 bis 1937 in Bad Godesberg vorübergehend Zuflucht gefunden hatte. „Es ist wahnsinnig schwer zu spielen“, sagt Korstick über das Stück, das bislang noch nie öffentlich aufgeführt wurde. „Braunfels selber war ein guter Pianist und ich kenne auch sein früheres Klavierkonzert. Das ist sehr instrumentengerecht geschrieben. Im Vergleich dazu ist das eher unpianistisch. Es gibt immer wieder Stellen, die in dem Tempo nicht mehr ohne weiteres machbar sind. Da wünscht man sich oft drei Hände.“ Doch das schreckt den Virtuosen nicht ab. Wenn man heute das dritte Klavierkonzert von Rachmaninow zum ersten Mal sähe, würde das auch jeder für unspielbar halten. „Aber mittlerweile kann das doch jeder spielen“, sagt Korstick.

Donnerstag, 13. Juli, 20 Uhr, Recklinghausen, Ruhrfestspielhaus, Theatersaal. Infos und Tickets im Internet: klavierfestival.de.

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