Romanautorin Hedwig Courths-Mahler Die Traumfabrikantin

Das Happy End war Pflicht. Mit 208 Romanen und einer geschätzten Gesamtauflage von 80 Millionen Exemplaren ist Hedwig Courths-Mahler bis heute Deutschlands wohl produktivste und erfolgreichste Autorin. Vor 150 Jahren wurde sie geboren.

 Ein zeitloses und schier unerschöpfliches Reservoir fürs deutsche Kino und Unterhaltungsfernsehen: Sabine Sinjen 1973 als Kindermädchen im Schloss des Grafen Harro von Treuenfels in „Griseldis“.

Ein zeitloses und schier unerschöpfliches Reservoir fürs deutsche Kino und Unterhaltungsfernsehen: Sabine Sinjen 1973 als Kindermädchen im Schloss des Grafen Harro von Treuenfels in „Griseldis“.

Foto: picture-alliance/ obs

Das ist mal ein Schicksal:

„Lena Warnstetten stand bleich und zitternd vor ihrem Vater und starrte ihn mit entsetzten Augen an. War es Wirklichkeit, was sie eben durchlebte? Hatte sie recht gehört? Sie sollte einen Mann heiraten, um ihre Familie vor Schande zu bewahren, sollte sich opfern, weil der eigene Vater in roher Genusssucht das Vermögen vergeudet, Warnstetten heruntergebracht und selbst seine Ehre in den Staub getreten hatte? “Ich kann nicht, Vater, ich kann nicht„, stammelte sie mit blassen Lippen.“ Die Mutter ist fern, sie liegt „augenblicklich still und bleich unter dem Messer des Operateurs“. Lena lässt sich kraftlos in einen Stuhl fallen. „Was sie vernommen, hatte ihre Kraft gebrochen. Durfte sie an sich denken, wenn alles um sie her in Trümmer ging? Ihr Vater ein Ehrloser, ihr Name gebrandmarkt, des Bruders Leben zerstört und das der geliebten Mutter doppelt gefährdet! Und in ihre Hand war es gegeben, das alles zu verhüten. Aber um welchen Preis?“

Man muss sich nicht schrecklich viele Gedanken um die arme Lena Warnstetten machen. Natürlich geht alles prima aus, denn Lena ist ein Geschöpf der Schriftstellerin Hedwig Courths-Mahler. Und bei der gibt’s ein Recht auf Glück, zumindest im Roman. Als Hedwig so um die 15 ist, macht sie nicht nur erste kleine literarische Gehversuche, sondern verdient sich auch ein paar Groschen mit der Betreuung einer alten gichtkranken Dame.

„Die Novellen, die ich geschrieben hatte“, sagt sie später, „legte ich meiner alten Dame vor, und als sie sie gelesen hatte, sagte sie mir, warum ich die alle mit einem bösen Ende ausgehen ließe. Ich ließ nämlich alle sterben, die in meinen Romanen zu tun hatten. Und das kam mir dann natürlich auch lächerlich vor und das habe ich gelassen, und daraus ist jetzt mein immerwährendes Happy End entstanden.“

Mit einem guten Ende lässt sich offenbar ordentlich Geld verdienen. Hedwig Courths-Mahler, vor 150 Jahren, am 18. Februar 1867, in Nebra an der Unstrut geboren und als Ernestine Friederike Elisabeth Mahler ins Geburtsregister eingetragen, ist die wahrscheinlich erfolgreichste und produktivste deutsche Schriftstellerin. Die Gesamtauflage ihrer exakt 208 Romane liegt bei geschätzten 80 Millionen Exemplaren – ein Ende ist nicht abzusehen. Denn auch heute noch verkaufen sich diese Produkte der Erbaulichkeit sehr ordentlich.

Der Bastei Verlag, bei dem seit mehr als 40 Jahren die Rechte an den Geschichten der Hedwig Courths-Mahler liegen, preist seine Autorin als „Königin der Liebesromane“ an und wirbt höchst romantisch um Leser: „Jenseits von Handys und Computern, in einer Zeit, in der ein Liebesbrief mitunter Wochen braucht, um seinen sehnsüchtigen Empfänger zu erreichen, spielen die zauberhaften Liebesgeschichten unserer Reihe Die Welt der Hedwig Courths-Mahler“. Der Verlag verspricht „eine nostalgische Reise in die Vergangenheit, einen Blick in die Herzen empfindsamer Mädchen und gut aussehender Helden“.

Das Leben von Hedwig Courths-Mahler ist selbst eine jener Aschenbrödel-Geschichten, die immer wieder ihre Romane bestimmen: Ein rechtschaffenes, herzensgutes Mädchen gelangt von ganz unten nach ganz oben; es geht um Glück, Liebe und Reichtum, um die Überwindung von Standesunterschieden, um verhängnisvolle Intrigen und eine wundervolle Zukunft.

Hedwig kommt als uneheliches Kind zur Welt, ein „Kind der Schande“, wie man damals zu sagen pflegt, der Vater verstirbt schon vor der Geburt. Von einer behüteten Kindheit und Jugend kann keine Rede sein, die Schule besucht sie unregelmäßig, die Mutter verdient ihr Geld in Leipzig, wohl als Prostituierte. Hedwig arbeitet als Dienstmädchen und Verkäuferin – und liest alles, was ihr in den Weg kommt, speziell die „Gartenlaube“ mit ihren Fortsetzungsromanen.

Mit 22 heiratet Hedwig den Dekorationsmaler Fritz Courths. Sie nimmt sein und ihr Leben in die Hand, verschafft ihm Stellen, die den Aufstieg in die bürgerliche Mitte verheißen. Einige Jahre und zwei Töchter später landet die Familie in Chemnitz, beim Chemnitzer Tageblatt reicht sie ihren ersten Roman ein, „Licht und Schatten“. „So etwas von Fehlern in einem Manuskript“, antwortet der zuständige Redakteur, „habe ich noch nicht erlebt. Aber Spannung und Herz! Wir bringen den Erstdruck.“ Und der macht bei den Lesern richtig Eindruck.

Von da an geht’s nur noch bergauf. Unterhaltungsromane mit dem Markenzeichen Courths-Mahler sind gefragt, vor allem bei Zeitschriften und Zeitungen, die damit ihre Leser ans Blatt binden wollen. Die Bücher erscheinen meist erst später. Gern werden die Romane zu kurzlebigen Theaterstücken verarbeitet, auch der Stummfilm bemächtigt sich der Geschichten. Familie Courths zieht nach Berlin, im Salon der Schriftstellerin verkehrt die Schauspiel-Prominenz jener Zeit, Käthe Haack und Curt Goetz, Tilla Durieux und Emil Jannings.

Hedwig Courths-Mahler produziert einen Titel nach dem anderen, sie ist sozusagen ihre eigene Schreibfabrik, in der es Werke vom Fließband gibt. „Der Schriftsteller“, sagt sie, „muss immer bereit sein, für ihn gibt es keinen Achtstundentag. Tag und Nacht muss er sich seinen Gedanken zur Verfügung stellen. Von Stimmungen bin ich nicht abhängig, wenn ich gesund bin, bin ich auch in Stimmung.“ Als das Inflationsjahr 1923 fast das gesamte Vermögen wegspült, verstärkt sie den literarischen Ausstoß und gehört zu den Großverdienern. Heute würde man sie wohl als selfmade woman bezeichnen.

Die Schriftstellerin überschätzt sich nicht; sie weiß ihre Romane, die voller unglaublicher Zufälle und erbarmungsloser Banalitäten stecken, schematisch gestrickt sind und immer von der Zaubermacht der Liebe handeln, ziemlich genau als kleine Fluchten aus dem Alltag einzuschätzen. In einem Interview spricht sie über Thomas Mann: „Den größten Eindruck von all diesen Büchern hat aber doch der Tod in Venedig auf mich gemacht, der sicher ein kolossales Können verrät; nur stößt mich auch hier das Schlaffe und Krankhafte ab, insbesondere der Schluss ist sehr niederdrückend. Ganz ähnlich geht es einem mit den Buddenbrooks – Verfall, immer wieder Verfall!“ Ihre Devise ist schlicht: „Ein Roman soll doch erquicken und stark und frisch machen, aber nicht krank und nervös!“

An Kritikern, die hart mit Courths-Mahler ins Gericht gehen, hat es nicht gefehlt. Einer von ihnen ist der Kabarettist und Schriftsteller Hans Reimann. „Von der Beliebtheit der Courths-Mahler“, schreibt er, „macht sich der Laie keinen Begriff. Die deutschen Hausfrauen gehen für sie in Not und Tod. Jede Zeile, die sie schreibt, ist Schund. Jeder ihrer Romane ist der typische, verlogene und erstunkene Schundroman.“

Reimann nennt die Autorin bei seinen Auftritten gern „Kotz-Mahler“ oder auch „Furz-Maleur“. Bertolt Brecht ist da viel realistischer: „Was ihr nur wollt, solche wie Courths-Mahler muss es auch geben. Wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie erfinden.“ Im Jahr 1933 zieht Hedwig Courths-Mahler mit ihren Töchtern, die inzwischen unter den Namen Friede Birkner und Margarete Elzer eigene Romane im Fahrwasser der Mutter veröffentlichen, an den Tegernsee. Sie ist Mitglied im neu gegründeten Reichsverband Deutscher Schriftsteller und förderndes Mitglied der SS.

Gleichwohl hat sich das nationalsozialistische Regime zum Ziel gesetzt, Gesellschafts- und Unterhaltungsliteratur „auszumerzen“, in der „das Leben und die Lebensziele auf dem Grunde einer bürgerlichen oder feudalen Lebensweise in oberflächlicher, unwahrer und süßlicher Weise dargestellt“ werden.

1935 resigniert Courths-Mahler: „Man mag bei der Prüfungs- und Beratungsstelle meine Art zu schreiben nicht und hat mir das in schonungsloser Weise gesagt. Also bin ich vom Schauplatz abgetreten.“ Die Nationalsozialisten freilich können den Kampf um die Trivialliteratur nicht gewinnen: Um die Moral in der Heimat und an der Front zu stärken, erscheinen mitten im Krieg paradoxerweise wieder Courths-Mahler-Romane in hohen Auflagen – diesmal als „Feldausgabe“.

Das Kriegsende hat noch einmal eine romanwürdige Pointe parat. Im Mai 1945 kommen die Amerikaner an den Tegernsee. Der Colonel, der die „Mutterhof“ genannte Villa der Autorin beschlagnahmen soll, hat deutsche Eltern. „Mit Ihren Romanen“, soll er der Schriftstellerin gesagt haben, „habe ich Deutsch gelernt.“ Das Haus erhält ein „Off Limits“-Schild. Hedwig Courths-Mahler stirbt am 26. November 1950, auf ihren Grabstein ist einer ihrer Roman-Titel gemeißelt: „Arbeit adelt“.

Die Renaissance ihres Werks hat da schon längst wieder eingesetzt. Bereits 1948 ist ihr vor dem Krieg geschriebener und abgelehnter Roman „Flucht in den Frieden“ erschienen. „Ich weiß“, heißt es in ihrem Vorwort, „ich schreibe nur ein Märchen, aber ich hoffe, damit manchem leidgeprüften Herzen wenigstens auf Stunden ein Paradies des Friedens vorzuzaubern.“

Märchen für Erwachsene hat Hedwig Courths-Mahler angefertigt, und wenn sie eines wusste, dann wahrscheinlich dies: dass jeder irgendwo eine heimliche kleine Kitsch-Ecke besitzt, eine Nische der Sentimentalität, ein Plätzchen der Hoffnung auf ein Leben, das gut und gerecht ist. „Ich habe“, hat Hedwig Courths-Mahler gesagt, „nichts anderes getan als später der Film: Ich habe schwer arbeitenden Menschen jenes Leben gezeigt, nach dem immer ihre Sehnsucht ging, das sie jedoch nie kennenlernen würden.“

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