David-Lynch-Ausstellung in Maastricht Der Filmemacher als Maler

„Someone Is In My House“: Das Bonnefantenmuseum in Maastricht zeigt Werke von David Lynch. Der Schöpfer der Serie "Twin Peaks" ist ein produktiver Maler, Zeichner, Fotograf und Bildhauer.

 Spiel mit dem Feuer: „Boy Lights Fire“, 2010. FOTO: MUSEUM

Spiel mit dem Feuer: „Boy Lights Fire“, 2010. FOTO: MUSEUM

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In einer der schönsten Szenen des Films „David Lynch: The Art Life“ (2017) von Jon Nguyen, Rick Barnes und Olivia Neergaard-Holm sieht man Lynch, der am Sonntag 73 wird, und seine 2012 geborene Tochter Lula im Atelier des Künstlers. Das Mädchen spielt, der Vater arbeitet an einem neuen Werk. Die von der Sonne Kaliforniens beschienene Vater-Tochter-Idylle im von Frank Lloyd Wright Jr. gestalteten „Pink House“, das Lynch seinen Bedürfnissen entsprechend mit dem Zukauf von Gebäuden und Grundstücken erweitert hat, drängt dem Betrachter einen Gedanken auf. Der Tag wird kommen, an dem die ältere und verständige Lula vor ihren Vater tritt und fragt: Dad, was hast du dir dabei gedacht? Lynch ist ein Künstler, der mit energischem Zugriff Träume zum Thema macht: nicht etwa Wunschträume, sondern Albträume. Düsternis, Gewalt, verwüstete Körper und abgründige Inszenierungen prägen sein malerisches, fotografisches und bildhauerisches Universum. Trostlos erscheint das alles nicht: Der eigenwillige Witz des Schöpfers Lynch ist allgegenwärtig.

Nur eine Facette der Künstlerexistenz

Lediglich den in Dublin geborenen Künstler Francis Bacon (1909-1992) lässt Lynch – neben Edward Hopper und Franz Kafka – als maßgeblichen Einfluss auf seine Arbeit gelten: „Francis Bacon is, to me, the main guy, the number one kinda hero painter.“

Lynch ist mit der Fernsehserie „Twin Peaks“ und Filmen wie „Blue Velvet“ und „Mulholland Drive“ berühmt geworden. Dabei versteht er die Arbeit für Fernsehen und Kino nur als eine Facette seiner Künstlerexistenz. Er ist auch Musiker, Maler, Bildhauer, Fotograf und Designer. Das Bonnefantenmuseum in Maastricht lenkt mit der üppig bestückten Ausstellung „Someone Is In My House“ den Blick des Publikums auf Gemälde, Lithografien, Zeichnungen, Lampenskulpturen, Fotos, frühe Kurzfilme und mediale Experimente.

Mehr als 500 Werke sollen belegen, dass Lynch einen herausragenden Platz in der Welt der Kunst für sich beanspruchen darf, wie Museumschef Stijn Huijts im Katalog zur Ausstellung festhält.

In „The Art Life“ erinnert sich der in Missoula in Montana geborene Lynch an seine Studienzeit an der Pennsylvania Academy of Fine Arts in den 1960er Jahren. Einmal kam ihn sein Vater besuchen und wurde vom künstlerisch ambitionierten Sohn in einen Raum geführt, in dem David mit toten Vögeln und Mäusen experimentierte; er wollte sich mit dem Phänomen Verfall vertraut machen.

Auf den Vater hinterließ der Besuch in Philadelphia einen zwiespältigen Eindruck. „Dave“, wandte er sich an seinen Sohn, „I don't think you should ever have children.“ Eine folgenlose Ermahnung. Lynch blickt auf mehrere Ehen zurück. Aus ihnen sind bisher zwei Töchter und zwei Söhne hervorgegangen.

„Was die Oberflächen zeigen, ist nur ein Teil der Wahrheit. Darunter steckt das, was mich am Leben interessiert: die Dunkelheit, das Ungewisse, das Erschreckende, die Krankheiten“, hat Lynch einmal bemerkt. Was ihn auch anzieht: Sexualität, Tod, Technik, Krankheit und Kreatürliches. In Maastricht begegnet der Museumsbesucher unterschiedlichen künstlerischen Konkretisierungen dieser Themen.

Die Arbeit „Six Men Getting Sick“ aus dem Jahr 1967 verbindet Malerei und Animation. Den sechs Männern ist schlecht, sie müssen sich übergeben. Lynch veranschaulicht das visuell in einer Endlosschleife. So könnte eine Abteilung in der Hölle aussehen. Im polnischen Lodz fotografierte der Künstler im Jahr 2000 heruntergekommene Architektur, leblose Fabrikhallen zum Beispiel, deren morbide Schönheit ihn faszinierte.

„Fisherman's Dream With Iron“ (2012) ist ein surrealistisches Ensemble, in dem aus einem Fisch eine Hand herausstößt, an deren Zeigefinger eine Nabelschnur befestigt ist. Sie bewegt sich durch getrocknetes Blut auf eine Meerjungfrau zu. Traumdeuter haben gewiss Freude an solchen Bildern. Lynch verweigert zum Sinn seiner Kunst jedwede Klarstellung: „What it means I don't know.“

Das gilt auch für „Bob Loves Sally Until She Is Blue In The Face“ (2000), wo Sex als Formenexplosion und lustvoll-zerstörerischer Akt dargestellt wird. Menschenfiguren erleben in Fotokompositionen brutale Transformationen. Lynch setzt verstümmelte Körper neu zusammen, manchen fehlen Kopf und Augen.

Häuser kehren leitmotivisch wieder, zum Beispiel in der ausstellungstitelgebenden Lithografie „Someone Is In My House“. Der Künstler taucht die Gebäude mit Vorliebe in unheilvolle Düsternis. Wer hier lebt, für den bleiben eigentlich nur Panik und Flucht.

Verdrängte Ängste und geheime Sehnsüchte

Doch wie in seinen Filmen offenbart sich Lynch als rettungsloser Romantiker, punktuell erlaubt er dem Licht, sich einen Platz in der pechschwarzen Nacht der Bilder zu erobern. So wie er verdrängte Ängste und geheime Sehnsüchte hinter der Oberfläche des Alltags aufspürt, fördert er die Schönheit zutage, die selbst im Herzen des Horrors existiert.

Der Privatmensch David Lynch weiß, wie Glück aussieht. In den Hollywood Hills hat er sich mit Frau Emily Stofle und Tochter Lula ein Refugium geschaffen, in dem er tagträumen, rauchen, malen und Kaffee trinken kann.

Apropos Kaffee: Im Museumsshop des Bonnefantenmuseums verkaufen sie David Lynchs „Signature Cup Coffee“. 340 Gramm Bio-Espresso kosten 25 Euro.

Bis 28. April. Bonnefantenmuseum, Avenue Céramique 250, Maastricht. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11 bis 17 Uhr. Internet: www.bonnefanten.nl. Der edle englischsprachige, im Prestel Verlag erschienene Katalog kostet 59 Euro.

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