Kommentar zum Fall Tellkamp Der Autor und die Meinungsfreiheit

Meinung | Bonn · Nach der Debatte über Uwe Tellkamps Auftritt im Dresdner Kulturpalast und der Distanzierung seines Verlags von ihm hat der Schriftsteller mehrere Lesungen in Norddeutschland abgesagt.

 Schriftsteller Uwe Tellkamp (l) und Dichter Durs Grünbein in Dresden bei der Diskussionsveranstaltung "Streitbar!" mit Moderatorin Karin Großmann.

Schriftsteller Uwe Tellkamp (l) und Dichter Durs Grünbein in Dresden bei der Diskussionsveranstaltung "Streitbar!" mit Moderatorin Karin Großmann.

Foto: dpa

Leider wird der Titel der heiß diskutierten Debatte meist unterschlagen: „Streitbar! Wie frei sind wir mit unseren Meinungen?“ hieß die Frage im Dresdner Kulturpalast. Antwort: wohl nicht so besonders. Gewiss, gegen Ende der fast zweistündigen Diskussion stellte Uwe Tellkamp seine kühne These auf, dass 95 Prozent der Flüchtlinge nur in die bundesdeutschen Sozialsysteme einwandern wollten.

Dem Satz kann man widersprechen, man kann ihn für baren Blödsinn erklären oder im Faktencheck widerlegen. Was aber passiert: Tellkamp wird sogleich ins AfD- oder Pegida-Lager sortiert, und emsige Literatur-Redakteure graben sein fiktionales Werk nach angeblich braunen Wurzeln um: Wir haben's ja gleich gewusst.

Genau diese Stigmatisierungsmechanik hatte der Schriftsteller zuvor angeprangert. Ist jeder Zweifler an der kulturellen Bereicherung dieser Gesellschaft durch muslimische Zuwanderer schon ein „Rechtpopulist“ oder gar ein „Nazi“? Ist es umgekehrt richtig, gewaltbereite Linke mit dem eher neutralen Begriff „Aktivist“ zu belegen? Und richtet sich die politisch korrekte Warnung vor rechten Ausstellern auf Buchmessen ähnlich engagiert auch gegen linke?

Gegen dieses Messen mit zweierlei Maß und die Dämonisierung seiner Heimat als „Dunkeldeutschland“ hat Tellkamp – zugegeben nicht sonderlich entspannt – gestritten. Und findet sich nun in einer ähnlichen Bredouille wieder wie Martin Walser nach seiner berühmten Paulskirchenrede. Auch von der blieb im Empörungsgetöse kaum mehr als das Schlagwort von „Auschwitz als Moralkeule“ übrig. Und auch darin gleichen sich die Geschichten: Walser beklagte, dass Suhrkamp nach dem Wirbel um seinen angeblich antisemitischen Roman „Tod eines Kritikers“ in die Knie gegangen sei. Der Autor wechselte zu Rowohlt, denn bei Suhrkamp gelte „nicht mehr literarische Vielstimmigkeit als das oberste Prinzip“.

An diesem Missstand hat sich nichts geändert. Warum sonst posaunt der Verlag die Binsenweisheit hinaus, dass die (offenbar beschränkte) Öffentlichkeit Meinungen einzelner Autoren doch bitte nicht für die des Hauses halten möge? Wobei Suhrkamp sogar von der „Haltung“ raunt, die in den Äußerungen zum Ausdruck komme. Zum Verlag der „Kritischen Theorie“ passt diese verkümmerte Streit- und Toleranzkultur nur bedingt. Und sie bestätigt Uwe Tellkamps Verdacht, dass man sich nur noch in einem keimfreien Gesinnungskorridor äußern dürfe.

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