Bruce Springsteens Biografie "Born To Run" Der Überlebenskünstler

Bonn · Bruce Springsteen spricht in Frankfurt bei einem exklusiven Termin über seine fulminante Autobiografie „Born To Run“. Darin thematisiert er neben seiner Karriere als Musiker auch ganz offen seine Depressionen oder das problematische Verhältnis zu seinem Vater.

 Das Foto von Frank Stefanko zeigt Springsteen im Winter '77/'78 vor Stefankos Haus bei der Fotosession zu „Dark-ness On The Edge Of Town“. Auch das Covermotiv des Nachfolgers „The River“ wurde ungeplant hier aufgenommen, weil die Fotosessions für das Album den „Boss“ 1980 nicht zufriedenstellten.

Das Foto von Frank Stefanko zeigt Springsteen im Winter '77/'78 vor Stefankos Haus bei der Fotosession zu „Dark-ness On The Edge Of Town“. Auch das Covermotiv des Nachfolgers „The River“ wurde ungeplant hier aufgenommen, weil die Fotosessions für das Album den „Boss“ 1980 nicht zufriedenstellten.

Foto: Frank Stefanko

Wer sich schon mal näher mit Bruce Springsteen beschäftigt hat, meint zwangsläufig, den nahbaren Rockstar gut zu kennen. Wer seine kürzlich erschienene Autobiografie „Born To Run“ liest, muss allerdings zugeben, dass er gar nichts wusste. Der Titel der mehr als 660 Seiten umfassenden Offenbarung des Musikers ist programmatisch für sein Leben.

Die meiste Zeit ist er gerannt: weg vor seinen prekären Familienverhältnissen, weg vor dem Erwachsenwerden, weg vor dramatischen depressiven Phasen. Das Ziel der Flucht war einerseits und ganz natürlich immer die Bühne, andererseits – nach einigen Irrwegen – seine Heimat New Jersey, in die es ihn immer wieder zurückgezogen hat.

Gerade die 50er bis 70er Jahre beschreibt Springsteen, der bis Mitte 20 von der Hand in den Mund, Auftritten in Bars und den zuhauf erwähnten Girls lebte, als aufwühlendes Sitten- und Szenegemälde einer Zeit voller persönlicher Abenteuer, nach deren Beschreibung gilt: Zum Glück hat der Mann seine Jugend überlebt und so die Möglichkeit zu musikalischen Großtaten gefunden – und nun auch zu einer literarischen Großtat, in der er wie gewohnt seine ganz eigene, ehrliche Sprache kultiviert.

Am Rande der Frankfurter Buchmesse hat Springsteen, streng abgeschirmt in einem Nobelhotel im Stadtteil Sachsenhausen, sich nun vor rund 100 geladenen Gästen über seine Lebensrückschau unterhalten. Gut aufgelegt und gänzlich unverstellt beantwortet der in einfachem Hemd, Sakko und Jeans gekleidete hemdsärmelige Jersey-Boy, der wie kein anderer den rich man in a poor man's shirt verkörpert, die Fragen von Moderator und WDR-Musikredakteur Thomas Steinberg. Da dieser eher steif von seinem Tablet abliest, reagiert Springsteen teilweise einsilbig.

Der Duzfreund auf Augenhöhe

Gekünstelt-steife Situationen wie diese sind nicht sein Ding, das ist ihm anzumerken. Ob er nun, nachdem das Buch fertig sei, den Sinn des Lebens entdeckt habe? „Nope!“ – Was er davon halte, dass der von ihm verehrte Bob Dylan sich nicht zum Erhalt des Literaturnobelpreises äußere. „Ich bin sicher, er ist glücklich.“ – Warum es nicht mehr als die 660 Seiten geworden sind? „Mehr ist mir einfach nicht eingefallen.“ Dann lacht der 67-Jährige sein jugendlich-unschuldiges Lachen, und alle lachen mit. Sofort ist klar, warum ihn jeder einfach nur Bruce nennt, jedermanns Duzfreund, immer auf Augenhöhe, trotz des ganzen Boheis.

Regelrecht ergreifend wird der Auftritt, wenn Springsteen selbst, mit kleiner Brille auf der Nase, Passagen aus seinem Buch vorliest. Etwa die Schlüsselszene, als er von einem Besuch seines Vaters, der sich als gleichermaßen gehasste und geliebte Sehnsuchtsperson wie ein roter Faden durch das Buch zieht, berichtet. 500 Meilen sei dieser eines morgens Anfang der 90er Jahre gefahren, um ihm in knappen Worten bei ein paar Bieren am Küchentisch zu sagen, dass er ihn liebe.

Das klingt dann so: „“Bruce, du warst sehr gut zu uns„, sagte er. Und dann, nach einer Pause: “Und ich war nicht immer gut zu dir.„ Das war's. Das war alles, was ich gebraucht hatte, alles, was nötig gewesen war.“ Springsteen ist hörbar gerührt, als er diese Zeilen liest. Einen Tag später ist er damals selbst zum ersten Mal Vater geworden.

„Das gute an dem Buch ist“, sagt Springsteen in Frankfurt, „dass ich den Platz hatte, das Verhältnis zu meinen Eltern besser zu erklären.“ In seinen Songs, in denen er sich immer wieder vor allem an seinem Vater abgearbeitet hat, sei dies nur bedingt möglich gewesen. Die stärksten Passagen der Autobiografie sind ohnehin die persönlichen. Zu behaupten, Springsteen gehe offen mit Themen wie seinen teilweise extremen Depressionen um, wäre untertrieben, obwohl er sagt: „Ich habe sehr vorsichtig abgewogen, was ich preisgeben wollte.“

Aus einem Blogeintrag wird eine Lebensrückschau

Dass er nun nicht mehr seine Songs als Medium benutzt, sondern selbst als Person ganz ungeschminkt direkt nach außen tritt, hängt vermutlich auch mit seinem grundsätzlichen Antrieb zusammen: „Ich habe die Gitarre in die Hand genommen, um mit der Welt zu kommunizieren. Ich verdiene mir meinen Platz, indem ich hin und wieder abends vier Stunden Musik mache“, sagt er lachend. Nun hat er eine Sprache gesucht und gefunden, sein Schaffen ausschließlich in Wörter zu kleiden.

Ursprünglich hatte Springsteen nur einen kurzen Blogeintrag für seine Homepage schreiben wollen, nachdem er mit seiner Band 2009 in der Halbzeitshow des Superbowl aufgetreten war. Angefixt von diesem Erlebnis ist im Laufe der Jahre das Buch entstanden.

Dass er einen Ghostwriter beschäftigt haben könnte, ist dabei ausgeschlossen: Selbst in der deutschen Fassung klingt jede Zeile zu 100 Prozent nach Springsteen. Oft macht er mitten in einem Satz drei Pünktchen, die eine Denkpause verdeutlichen sollen, häufig schreibt er ganze Passagen in Versalien. So, wie sich Springsteen auf der Bühne und in Interviews gibt, schreibt er auch.

Natürlich lebt die Autobiografie nicht nur von der auch für Nicht-Fans nachvollziehbaren persönlichen Dimension, sondern zudem von jeder Menge erstaunlicher Fakten über den musikalischen Werdegang Springsteens und vieler seiner Weggefährten. Etwa, dass er bis Ende der 70er Jahre fast alle seine Einnahmen dafür verwenden musste, seine Schulden zu bezahlen, die sich angehäuft hatten, weil er als Jungspund zu Beginn seiner Karriere Knebelverträge auf einer Motorhaube unterschrieben hatte.

Rausschmiss aus Disneyland

Dazu gesellen sich Anekdoten wie die aus dem Jahr 1985, als er gemeinsam mit seinem Kumpel und Bandkollegen Steve van Zandt nach dem großen Erfolg von „Born In The USA“ aus Disneyland geflogen ist, weil sich beide weigerten, ihre albernen Kopftücher abzunehmen. Oder der Surfunfall, der ihn als Jugendlicher beinahe das Leben gekostet hätte. Heute schmunzelt er darüber. „Damals brauchte ich die Brille noch nicht.“

Nach einer guten Stunde muss Springsteen los. Eine Managerin zerrt ihn unentwegt von den Fans unter den Journalisten weg, die sich das Buch signieren lassen möchten. Irgendwann beugt er sich zähneknirschend. Es mag zwar viele Chefs geben auf dieser Welt. Aber es gibt eben nur einen „Boss“.

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