Wissenschaft für den Nachwuchs Das schlaue Museum

Bonn · Unter der Dusche hatte Wolfgang Paul die Idee zur Teilchenfalle, der ihm den Nobelpreis einbrachte. Das Deutsche Museum Bonn erzählt die Geschichte demnächst mit weiteren süffigen Details. Und zahlreiche Aktionen könnten manchen Besucher zu eigenen Geistesblitzen inspirieren, solange das Haus noch geöffnet ist.

Woraus besteht die Welt – und was hält sie zusammen? Dieser Grundfrage aller Naturwissenschaften gehen an einem nasskalten Dienstagmorgen Ende Februar auch Lena-Sophie Leibig, Emma Winter und Gülizar Otlu ein Stück weit auf den Grund. Mit ihrer Klasse 7 b der Marie Kahle Gesamtschule Bonn sind die Teenager dazu extra ins Deutsche Museum gekommen.

Mit Schürzen, Laborbrillen und einer schriftlichen Arbeitsanweisung erkunden sie zwei Stunden lang in der Experimentierküche, woraus Gummibärchen bestehen. Was auf den ersten Blick wie ein geheimnisvolles Zauberprodukt aussieht, ist in Wahrheit nichts anderes als Wasser, Zucker, Gelatine beziehungsweise pflanzliche Agatine, Säure und Aromen.

Aufgekocht und püriert – das heißt chemisch abgewandelt – füllt Emma Winter die zähflüssige Masse in große Herzformen. Und ab damit in den Kühlschrank. „Eigentlich kinderleicht“, findet sie und ist gespannt, wie’s schmeckt. „Alle unsere Siebtklässler bekommen hier einen Vorgeschmack auf den Chemie-Unterricht in Klasse 8“, berichtet Fachlehrerin Gerhild Schirmer. Kaum ein anderes Fach werde derart kontrovers gesehen: „Die einen lieben es – die anderen fürchten es.“

Der Workshop sei eine süße Verführung für mehr. Lernorte außerhalb der Schule würden dabei zusehends wichtiger. Schließlich sind durch massiv gestiegene Sicherheitsvorschriften viele Versuche im normalen Unterricht kaum noch möglich. „In einer Klasse mit 30 Schülern einen Versuch mit Bunsenbrennern zu machen, ist für mich schon erheblicher Stress“, sagt Schirmer.

Doch die Experimentierküche ist erst der Anfang. Wer die Zutaten für Gummibären kennt, den drängt es, zu erfahren, woraus die bestehen. So ging es letztlich auch dem späteren Bonner Nobelpreisträger Wolfgang Paul, dem Besucher ab Mitte März nur wenige Schritte weiter in einem neu gestalteten Teil der Dauerausstellung begegnen. Als erstes sticht das Betatron ins Auge, mit dem Paul ab 1945 in Göttingen Einblicke in die Atomkerne suchte.

Krebstherapie mit der Regenrinne

„Eigentlich hatten die Alliierten jede Atomforschung verboten“, sagt Museumsmitarbeiter Ralph Burmester. Doch Paul radelte im Sommer 1945 gut 300 Kilometer nach Erlangen, gab sich im Arztkittel als Mediziner aus und holte den Ringbeschleuniger nach Göttingen. „Mit der Regenrinne einer zerbombten Kirche wurden die Strahlen tagsüber zur Krebstherapie auf die Patienten gerichtet.

Doch nach 18 Uhr betrieb man Grundlagenforschung“, hat Burmester im Pauls Nachlass recherchiert, den das Museum kürzlich erwerben konnte. Später in Bonn tüftelte der Physiker am ungleich größeren Synchrotron, das heute im Keller des Museums steht. Unter der Dusche kam ihm die Idee, Teilchen nicht durch feste Magneten zu beschleunigen, sondern durch vier Stäbe mit wechselnder Spannung. Mit einem solchen Massenfilter lassen sich Teilchen auch mit geringsten Gewichtsunterschieden voneinander trennen.

Und das Gerät wiegt nicht 1,2 Tonnen, sondern nur 300 Gramm. „Das war einen Nobelpreis wert“, sagt Burmester. 1989 wurde er Paul verliehen. Unter fünf Überschriften zeigt das Museum, wie Forschung und Technik sich seit 1945 entwickelt haben. Neben der Grundlagenforschung geht es um Anwendungsbezüge, Entwicklungen mit ungewissem Ausgang wie den Transrapid, deutsch-deutsche Konkurrenz und die Vereinigung der Forschungstraditionen nach der Wende sowie um interdisziplinäre Ansätze etwa in der Robotik, wo Informatiker und Mechaniker sich von biologischen Vorbildern inspirieren lassen.

Erzählen von Wissenschaftsgeschichte(n)

War die Ausstellung zunächst sehr akademisch geprägt mit vielen Exponaten, so haben sich Museumsleiterin Andrea Niehaus und ihre Mitarbeiter inzwischen mehr aufs Erzählen von Wissenschaftsgeschichte(n) konzentriert – durchsetzt mit Stationen zum Selber-Tüfteln. Trotzdem wird das Museum im Keller des Wissenschaftszentrums mit seiner Anmutung einer Gesamtschulaula der achtziger Jahre seiner Bedeutung auf den ersten Blick baulich nicht gerecht. Schließlich ist das Mutterhaus in München mit rund 1,1 Millionen Besuchern in 2015 eines der wichtigsten Museen in Deutschland und eine fast unerschöpfliche Quelle für Exponate und Expertise.

Wie eine erneuerte Dauerausstellung aussehen könnte, zeigt in Bonn das Schlauspielhaus: In fünf Räumen wird dort für jedes Jahrzehnt im passenden Dekor ein Technik-Aspekt beleuchtet. Die Musikbegeisterung der fünfziger Jahre verlockt zu Experimenten mit einem Laser-Bass, der Massentourismus und Flugverkehr der Siebziger zu Strömungsversuchen mit verschiedenen Körpern. Neben der Dauerausstellung lockt das Museum mit Sonderschauen, ab 24. März etwa zur Geschichte der „Imperia“-Motorräder aus Bad Godesberg, ab 14. Juni zu Leonardo da Vincis Erfindungen. Vorträge, Führungen, Buchvorstellungen, Experimentiersonntage, das Museumsmeilenfest oder die Bonner Wissenschaftsnacht sind weitere Anlässe für einen Besuch.

Das kommt an: „Das Team hat eine unglaubliche Expertise darin entwickelt, aktuelle Themen aus Forschung und Technik aufzugreifen, mit den Rahmenbedingungen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu verbinden und für ein breites Publikum aufzubereiten“, sagt etwa der Physiker und Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar. Die drohende Schließung Anfang 2018 stößt dagegen auf Kritik. „In anderen Ländern sind Museen frei. Bei uns werden sie geschlossen“, schreibt ein Besucher im Gästebuch. „Das Deutsche Museum Bonn ist ein etablierter Ort mit 80.000 Besuchern jährlich, um Interesse an Naturwissenschaft und Technik zu wecken.

So ein Pfund gibt man nicht kurzsichtig aus den Händen, schon gar nicht als Wissenschaftsstadt“, sagt Olaf Haupt, Geschäftsführer des Vereins Lernort Labor. Der vertritt bundesweit 300 Schülerlabore. Lena-Sophie, Emma und Gülizar wissen nach dem Besuch des Museums jedenfalls, dass Gummibären kein Zauberwerk sind. Emma verrät: „Man darf nur nicht zu viel Zucker nehmen, oder zu viel Säure“.

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