Atomkatastrophe in fünf Teilen "Chernobyl" erscheint auf DVD und Blu-Ray

Der 26. April 1986 und die Folgen: Die Fernsehserie „Chernobyl“ erscheint auf DVD und Blu-Ray. Die fünf Folgen der britisch-amerikanischen Fernsehproduktion sind düsteres Meisterwerk.

 Legassows Lektion: Jared Harris als Atomexperte.

Legassows Lektion: Jared Harris als Atomexperte.

Foto: picture alliance/dpa

Die fünf Folgen der britisch-amerikanischen Fernsehproduktion „Chernobyl“ haben im vergangenen Mai auch in Russland Furore gemacht. Der russische Kulturminister Wladimir Medinski, ein notorischer Kritiker des Westens, lobte den Film: Er sei mit großem Respekt vor den einfachen Leuten gedreht worden. Wenige Wochen später kippte die Stimmung in Russland, wie GA-Korrespondent Stefan Scholl aus Moskau berichtete.

„Mickey Mouse bringt Krieg nach Russland“, schimpfte das nationalistische Portal Regnum. Und die Partei „Kommunisten Russlands“ beantragte bei der Zensurbehörde Roskomnadsor, die historische Miniserie im Internet zu blockieren.

Die Aufregung um die filmische Rekonstruktion der Explosion im Atomkraftwerk Tschernobyl in der Ukraine am 26. April 1986 und die Folgen der Katastrophe war ein Indiz für die Brisanz des Films – aber noch kein Beweis seiner Qualität.

Ohne Übertreibung lässt sich feststellen, das die von Craig Mazin geschaffene Serie ein Meisterwerk ist. Ein düsteres Meisterwerk, das vom Leid und den Opfern der Menschen in Weißrussland, Russland und der Ukraine erzählt, von Vertuschungsversuchen und inkompetenten Bemühungen der Politik im Sowjetreich, die Auswirkungen des Atomunfalls in den Griff zu bekommen. Alle Handlungen sind einem Diktum unterworfen. Alles, wo „Made in Russia“ draufsteht, ist gut, selbst ein krisenanfälliger Reaktor. Mit anderen Worten: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Physikalische und chemische Kettenreaktionen

Gleichzeitig klärt der eng an den Fakten bleibende Fünfteiler über die Ursachen der Explosion auf: über die im Vergleich zum Westen drittklassige Bausubstanz des Reaktors, über menschliche Fehlleistungen und verheerende physikalische und chemische Kettenreaktionen. Jared Harris verkörpert den Chemieexperten Waleri Legassow. In einer Szene bündelt der Leiter des Tschernobyl-Untersuchungskomitees seine Erkenntnisse in einem langen, materialreichen Vortrag. Seine Wissenschaftslektion, in der Brom und Graphit tragende Rollen spielen, ist so aufregend wie das Plädoyer von Atticus Finch in dem Film „Wer die Nachtigall stört“.

„Chernobyl“ funktioniert und bewegt auf vielen Ebenen. Visuell schickt der Film den Zuschauer in die Hölle von Tschernobyl, wo die Explosion und die aufsteigenden Rauchwolken eine morbide Schönheit entfalten. Menschen in der Stadt Pripjat stehen auf einer Brücke, um das Spektakel zu beobachten. Das Drehbuch vereint die äußeren Umstände mit den Schachzügen der Politiker und des KGB sowie mit den Schicksalen der einfachen Leute, die den russischen Kulturminister Wladimir Medinski eine Zeit lang gerührt haben. Die Kamera beobachtet die wachsende Verzweiflung beim Personal im Atomreaktor, verfolgt den Weg eines Feuerwehrmannes in den Tod, nimmt sterbende Soldaten auf und begleitet ein Kommando, das dazu ausersehen ist, in der evakuierten Stadt Pripjat alles tierische Leben auszulöschen. Eine ahnungsvolle Familie hat einen Zettel an die Haustür geheftet: „Tötet unsere Zhulka nicht. Sie ist ein guter Hund.“ Die Menschen, die ihre Häuser und Wohnungen verlassen müssen, bewegt die Krise nicht etwa zu Ausbrüchen und leidenschaftlichen Anklagen. Sie bleiben auf fast schon surreale Weise gelassen: Stoizismus als Überlebensform in einem diktatorischen System. Die Bilder sind immer wieder akustisch grundiert mit dem insistierenden Sound von Geigerzählern.

Die Dramaturgie der Serie – Regie: Johan Renck – erlaubt kaum ein Innehalten. Konflikt reiht sich an Konflikt, allen noch so heroischen Rettungs- und Reparaturmaßnahmen scheint ein programmiertes Scheitern innezuwohnen. Doch in den Gesprächen zwischen Legassow und dem Politiker Boris Schtscherbina (Stellan Skarsgård) ist Zeit für Reflexion und Analyse. Die beiden vermitteln eine Ahnung davon, wie die Sowjetunion Ende der 1980er Jahre tickte: ein fehlerhaftes System, das wie der Atomreaktor in Tschernobyl nur eine begrenzte Lebenszeit hatte.

„Chernobyl“. Eine Serie von Sky und HBO. Laufzeit rund 312 Minuten (fünf Folgen). Auf DVD und Blu-Ray, Polyband.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Held ohne Heldenpose
“One Life“ mit Anthony Hopkins Held ohne Heldenpose
Zum Thema
Aus dem Ressort