Ausstellung in Bonn Bundeskunsthalle bietet Einblicke in Goethes Welt

BONN · Goethes Welt: Mit einer Serie begleitet der GA die aktuelle Ausstellung der Bonner Bundeskunsthalle. Die Artikelreihe startet mit einem Blick auf die Romantik, die der Meister durchaus kritisch bewertete

Spätestens um 1900 hat die schöne Mignon ihren medialen Durchbruch: Sehnsüchtigen Blickes mit langen dunklen Haaren, mit Gitarre oder Mandoline im Arm liefert die jugendliche Schönheit das Bild von scheuer Anmut und schüchterner Verheißung, eine unschuldige Erscheinung gepaart mit feuriger Italianitá, oder was man sich unter der Sonne Italiens halt so wünschte. In der Goethe-Ausstellung der Bundeskunsthalle sieht man Dutzende kitschige Ansichtskarten mit Mignons Ansichten.

Auch die Hochkultur hat sich mit Mignon befasst: Ludwig van Beethoven und Franz Schubert, Robert Schumann und Peter Tschaikowski vertonten Mignons Geschichte, Auguste Renoir hatte die Schöne 1867-70 in Marmor gehauen, Ary Scheffer sie in Unschuldspose gemalt (1836). 1900 bei Gabriel von Max ist sie schon weiblicher, spielt Harfe, intoniert womöglich das berühmte Lied: „Kennst du das Land? wo die Citronen blühn,/ Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,/ Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, /Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,/ Kennst du es wohl?/Dahin! Dahin/ Möcht' ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn...“

Sie sang es schon in Goethes Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ von 1795/96, der diese Figur, Inbegriff des knabenhaften, erotisch anziehenden Mädchens, Mitglied einer Gauklertruppe, in die Theatergeschichte einführt. Wilhelm, der Romanheld, kauft die Halbwüchsige los, als sie vom Leiter der Truppe geschlagen wird. Wilhelm nimmt die Rolle des Vaters an, sie verehrt ihn. Er erwidert die Liebe nicht. Das Drama nimmt seinen Lauf.

Poesie der natürlichen Sprache

Die Romantiker des beginnenden 19. Jahrhunderts schätzten Goethes Frühwerke, den „Faust“ und den „Götz“, aber insbesondere den „Werther“ und „Wilhelm Meister“. Friedrich Schlegel etwa empfahl den mehr als 20 Jahre älteren Goethe als wichtigstes Vorbild für junge Autoren, lobte ihn als „Stifter einer neuen Poesie“. Gerade auch Mignon hatte es Schlegel angetan: „In Mignons und des Alten romantischen Gesängen offenbart sich die Poesie als die natürliche Sprache und Musik schöner Seelen.“ Für Schlegel war Mignon die Allegorie der Naturpoesie schlechthin, konstatiert Thorsten Valk in seinem Katalogbeitrag zur Bonner Schau, die neben eine Reihe Mignon-Paraphrasen auch eine kleine Auswahl von Bildern der Romantiker zeigt.

Die Verehrung, die diese Künstler dem Klassiker aus Frankfurt entgegenbrachten, wurde sehr ambivalent erwidert. Interessiert hat dieser zwar das literarische Werk etwa von Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck, aber er verfolgte auch kritischen Auges, was sich in der Jugend tat. Bei der bildenden Kunst blickte er offenbar noch kritischer hin. Goethe hatte ein gutes Instrument dafür: 1799 bis 1805 schrieb er einen Wettbewerb zur Förderung der bildenden Kunst aus, die „Weimarer Preisaufgaben“ – für die Gewinner zweifellos ein Gütesiegel. Für Verlierer ein Grund, Kritik am konservativen Geist des Klassikers zu üben. Philipp Otto Runge, einer der wichtigsten Romantiker, etwa strauchelte 1802 über Goethes Kunsttest. „Wir sind keine Griechen mehr“, schimpfte Runge, „wie können wir denn auf den unseligen Einfall kommen, die alte Kunst wieder zurückrufen zu wollen?“

Goethes umstrittene Kunstpolitik

Goethe wollte offenbar einen am Vorbild der Antike orientierten Klassizismus als allgemein verbindliche Kunstnorm durchsetzen. Die jungen Wilden, die um 1800 das Feld der Kunst betraten, wollten und konnten das nicht akzeptieren. Schlegel, der ja Goethe der Jugend als literarischen Anreger empfohlen hatte, geißelte dessen rückwärtsgewandte Kunstpolitik: Ihn störte Goethes „prosaischen Nebel antikischer Nachahmerei und ungesunden Kunstgeschwätzes“. Die Autonomie der Kunst stelle Schlegel infrage, sein Ziel war die Rückführung des künstlerischen Schaffens in den Dienst der Religion. Man kann sich bildlich vorstellen, wie derlei Initiativen auf den Klassiker wirkten. Hier öffnete sich ein fundamentaler Generationengraben. Zu einem anderen Anlass schäumte Goethe gegen die „neukatholische Sentimentalität“ und das „klosterbrudrisierende, sternbaldisierende Unwesen“ in der Kunst. Wackenroders „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ und Tiecks „Franz Sternbalds Wanderungen“ waren hier das Ziel von Goethes Polemik.

Man wüsste gerne, wie er auf die Bilder der Bonner Ausstellung reagieren würde. Carl Friedrich Lessings „Klosterhof im Schnee“ (um 1830) etwa dürfte ihm zu religiös sein, auf das schwelgerische „Der Traum Raffaels“ von Franz und Johannes Riepenhausen über die Entstehung der „Sixtinischen Madonna“ hätte Goethe – bei aller Liebe zu Raffael – skeptisch reagiert. Der Dresdner Caspar David Friedrich hat schon früh Goethes Interesse geweckt. „Im Gegensatz zu den sogenannten Nazarenern orientierte sich Friedrich nicht an der sakralen Bildwelt des Mittelalters, sondern an der 'modernen' Landschaftsmalerei“, schreibt Valk. Goethe unterstützte den Maler. Doch die Beziehung kühlte ab, als Friedrich allegorische und christliche Motive in seine Bildlandschaften brachte.

Eines der stärksten Bilder der Schau, Friedrichs „Morgennebel im Gebirge“ (1808), ist eine fantastische Vision aus Grau-, Weiß- und Gelbtönen, aus Licht und Schnee. Ein winziges Gipfelkreuz „vor einer wolkenfreien, blau schimmernden Himmelszone“ wird sichtbar und lädt den gesamten Naturraum mit einer „religiösen Semantik“ auf (Valk). Goethe, der dieses Gemälde wahrscheinlich in Rudolstadt gesehen hat, war sicherlich ob dieser christlichen Dimension nicht begeistert.

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