Theater rot-weiß Bonner Premiere von "No No No" in der Werkstatt

Bonn · Gavin Quinn und sein inspiriertes Ensemble zeigen „No No No“ in der Werkstatt. Sie haben ein Sinnbild menschlicher Existenz geschaffen.

 Die vier Dienstleister aus dem „No No No“-Supermarkt: (von links) Ursula Grossenbacher, Birte Schrein, Manuel Zschunke und Lena Geyer. FOTO: THILO BEU

Die vier Dienstleister aus dem „No No No“-Supermarkt: (von links) Ursula Grossenbacher, Birte Schrein, Manuel Zschunke und Lena Geyer. FOTO: THILO BEU

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Alte Fußballerregel: Never change a winning team. Die Empfehlung der englischen Kickerlegende Alf Ramsey, die Aufstellung einer Erfolgsmannschaft nie zu verändern, hat das Bonner Theater beherzigt und gleichzeitig weiterentwickelt. Birte Schrein, Ursula Grossenbacher und Lena Geyer, die in der Werkstatt-Inszenierung von Werner Schwabs Stück „Die Präsidentinnen“ glänzen, haben einen Mann in ihr Kollektiv aufgenommen. Manuel Zschunke macht in der Uraufführung von „No No No“ (Untertitel: „Tücken und Abgründe des amerikanischen Traums“) aus einem tollen Trio ein unwiderstehliches Quartett.

„No No No“ hat Regisseur Gavin Quinn gemeinsam mit dem Ensemble erarbeitet. Es knüpft thematisch an Robert Gerloffs „Präsidentinnen“-Produktion an. Vier Supermarktmitarbeiter stehen auf der Werkstattbühne und reden; bei der Arbeit sieht man sie nicht. Die Welt, in der sie leben, hat endzeitliche Züge. Droht eine Katastrophe? Mathilda (Lena Geyer), Olivia (Ursula Grossenbacher), Daphne (Birte Schrein) und Kevin (Manuel Zschunke) bewegen sich gelegentlich wie in Trance in einer Umgebung, die aussieht wie ein realsozialistischer Dienstleistungsort. Die beweglichen Regale sind halb leer – oder halb voll, je nachdem, wie man es betrachtet (Bühne: Aedin Cosgrove).

Worüber reden sie miteinander? Über Beziehungen, Sex, Kürbiskernöl (für die Haare), Plasmaspenden und Geld. Unangenehme Kindheitserinnerungen an Einsamkeitsmomente und Demütigungen kommen zur Sprache. Religion ist ein Thema, die nächste Welt, das Paradies, Nahtoderfahrung und Selbstmord. Das Triviale verbindet sich auf herrlich komische Weise mit dem Erhabenen, das Materielle mit dem Metaphysischen. Und das offensichtlich Erfundene mit der Wahrheit. Sie alle träumen ihre Art des amerikanischen Traums: einmal die Nummer eins sein. Die Verwirklichung erscheint nicht als realistische Option.

Immer wieder führen die Angestellten vor, was Dienst am Kunden bedeutet. Das führt zu roboterhaft visualisierten Ritualen und Slapstick mit Ketchup und Mayonnaise: Theater rot-weiß. Es gibt viel zu lachen in den 80 Minuten der Aufführung.

Aber der Abend hat mehr zu bieten. Wie in den „Präsidentinnen“ lässt das Ensemble den Figuren, die das für sie Unmögliche herbeifantasieren, ihre Würde. Sie sind mehr als Theaterwitzmaterial: repräsentativ für hoffende und scheiternde Menschen.

Regisseur Gavin Quinn und sein Ensemble finden provokante, bissige und surreal anmutende Töne für die vier Figuren. Sie definieren sich auch durch Gesang: „Ein feste Burg ist unser Gott.“ Birte Schrein ist geboren für Rollen wie die der wuchtbrummigen Daphne: verpeilt und schwärmerisch in einem Augenblick, furios und rauschhaft außer sich im nächsten. Ihr quietschendes Lachen ist sensationell schräg. Wenn sie sich aufregt, läuft das Gesicht rot an, und sie verdreht die Augen wie Linda Blair in dem Film „Der Exorzist“.

Lena Meyer als Mathilda kultiviert auf virtuose Weise schnippische Reflexe. Darunter verbirgt sich offensichtlich eine Schwäche für den jungen Kevin. Der hat angeblich schon alles erlebt und eine große Zukunft vor sich. Manuel Zschunke macht Kevins passive Aggressivität und seine autosuggestiven Erfolgsentwürfe sinnlich erfahrbar.

Ursula Grossenbacher verleiht ihrer Olivia somnambule Züge, sie erscheint die meiste Zeit als rätselhaftes und reflexives Wesen. Auf einem selbstbestimmten Tod beharrt sie jedoch mit klaren Worten. Eine starke Szene. Dieser geglückte und lebhaft beklatschte Theaterabend rührt auch an den letzten Dingen.

Die nächsten Aufführungen: 18. und 20. April, 18. Mai. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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