Eine Reportage über Papenburg Ein Besuch in der Wiege der Kreuzfahrtschiffe

BONN · Ein Besuch in Papenburg an der Ems lässt sich von Bonn aus locker als Kurzausflug organisieren. Der Trip lohnt sich. Der südlichste Seehafen Deutschlands gilt als Wiege der Kreuzfahrtschiffe und als Basilikum-Hauptstadt der Nation.

 Meyer-Werft: Kreuzfahrtschiff Genting Dream in Papenburg

Meyer-Werft: Kreuzfahrtschiff Genting Dream in Papenburg

Foto: Ingrid Fiebak-Kremer

Ein herkömmliches Stadtzentrum sucht man in Papenburg vergebens. Die kurze Bahnhofsstraße endet nach wenigen Metern an einem Wasserlauf. Dann bleibt eigentlich nur die Wahl, ob man der Straße Hauptkanal Rechts oder Hauptkanal Links folgen möchte. Immer wieder führen hölzerne Klappbrücken ans andere blumengeschmückte Ufer. Erst nach mehreren Kilometern – vorbei am Emshafen, dem Segler Friederike und dem Backstein-Rathaus – vereinigen sich beide Straßen wieder zum Gasthauskanal und enden schließlich im Geraden Weg. Dann ist man durch Papenburg auch schon durch.

Diese Gradlinigkeit brachte der 35.000-Einwohner-Kommune ganz im Westen Niedersachsens nicht nur den Rekordtitel der längsten Fehnsiedlung Deutschlands ein. „Sie ist als älteste im Land auch historisch gewachsen“, erklärt Ludger Stukenborg.

Der Pensionär steht mit Fischerhemd, rotem Halstuch und Schiffermütze mit einem Torfspaten im Nieselregen am Ende des Geraden Weges, wo die ganze Geschichte 1631 ihren Anfang nahm. Schon 400 Jahre früher hatte der Bischof von Münster die Papenborch als halbwegs bequemes Reisequartier auf dem Weg nach Ostfriesland ans Ufer der Ems setzen lassen.

Ein einziger Morast

Aber die Gegend war ein einziger Morast voller Mücken und Sumpffieber. Die Besitzer der Immobilie waren damit so unzufrieden, dass sie ständig wechselten. Der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges machte das Gebäude dann endgültig zum Sanierungsfall. Der letzte Besitzer wollte die Burg und das ganze Land nur noch loswerden.

Der Emsländer Landdrost Dietrich von Velen schlug zu. Aus den Niederlanden kommend, wusste er, wie man das Moor entwässert, Grundstücke vermisst und Siedler rekrutiert.

In der Von-Velen-Anlage, einem Freilichtmuseum am Stadtrand, lässt sich die weitere Entwicklung leicht nachvollziehen. Hier hat der Heimatverein Haustypen von der Schafskate aus Holzbalken und Grassoden bis zum alten Kapitänshaus versammelt, in dem nach der Führung frische Buchweizenpfannkuchen mit Ostfriesen-Tee serviert werden. Hier hatte der Siedlungsgründer einst residiert.

Hauptkanal zur Ems als Entwässerung

„Von Velen ließ als erster einen Hauptkanal zur Ems hin als Entwässerung und Transportroute ausheben und verteilte Grundstücke an beiden Seiten“, sagt Ludger Stukenborg. Der holländische Ursprung der Moorentwässerung ist noch im Wort Fehnsiedlung enthalten, das sich aus dem niederländischen Wort Venn für Moor ableitet.

Die neuen Besitzer erhielten immer eine Plaatze von 83,16 Meter Breite am Kanalufer und einer Länge von 462 Metern im Hinterland. Als Gegenleistung mussten sie Seitenkanäle ausheben. Das Grundmuster wurde später auch an anderen Orten kopiert. Mit einem Kanalnetz von noch heute 44 Kilometern Länge hat sich Papenburg später oft als Venedig des Emslandes vermarktet. „Brücken haben wir schließlich auch genug“, sagt Stukenborg.

Mit dem Torfstechen auf dem eigenen Grund und Boden war es allerdings nicht getan. Viele Siedler bauten kleine Werften an den Kanälen. 24 waren es in der Blütezeit, die Treidelkähne für Fahrten auf der Ems nach Leer und Emden fertigten. Dorthin brachten die Moorbewohner ihren Torf und kehrten mit Lehm für die Häuser zurück. 1848 seien sogar 68 Emskähne bis nach Riga ins Baltikum geschippert, verrät Stukenborg.

Sie brachten damals die Idee für ihren originellen freistehenden Glockenturm mit. So wurde eine Kopie des längst zerstörten Rigaer Leuchtturms das Wahrzeichen der Stadt an der Ems, die gern auch als südlichste Seehafenstadt Deutschlands firmiert.

250.000 Neugierige kommen im Jahr ins Besucherzentrum der Werft

Eines dieser Unternehmen, die später auch seegängige Schiffe vom Stapel ließen, war die 1795 gegründete Meyer-Werft. Als einzige überlebte sie den Beginn des Stahlschiffbaus und ist heute mit rund 3300 Beschäftigten nicht nur bei weitem der größte Arbeitgeber, sondern auch der größte Touristenmagnet in der Stadt.

Bis zu zehn Shuttlebusse waren im verregneten Juni nötig, um die Gäste auf das Werksgelände zu bringen. 250.000 Neugierige kommen im Jahr ins Besucherzentrum mit den Musterkabinen der verschiedenen Reedereien und der großen Panoramascheibe auf die 75 Meter hohe Fertigungshalle. Neben der Norwegian Bliss entsteht hier gerade mit der Aida Nova das erste mit Flüssiggas befeuerte Kreuzfahrtschiff der Welt. Im Herbst 2018 soll es vom Stapel laufen.

Für die Innenstadt wurden die dicken Pötte und die für den Bau nötigen Anlagen irgendwann zu groß. Nachdem die Werft an den Stadtrand gezogen war, entstand auf ihrem alten Areal am Nordende des Hauptkanals das Forum Alte Werft.

2000 Beschäftigte produzieren 80 Prozent aller Küchenkräuter für den deutschen Markt

Ein Hotel, die Stadthalle und das Theater zogen in die alten Backsteinhallen. In der ehemaligen Ölmühle erinnert der Zeitspeicher als historische Ausstellung im Obergeschoss der Touristinfo an den Beginn der Kolonisation. Natürlich begrüßt hier der Moor-Visionär Dietrich von Velen die Gäste.

Wo einst das Moor sich bis zu sechs Meter hoch auftürmte, wächst heute Basilikum. 130 Gartenbaubetriebe mit gut 2000 Beschäftigten produzieren rund um Papenburg 80 Prozent aller Küchenkräuter für den deutschen Markt – rund 90 Millionen Töpfe mit Basilikum, Petersilie, Schnittlauch, Minze oder Rosmarin, dazu 35 Millionen Gurken und Tomaten – und alles ungespritzt. Ostvertriebene haben das Geschäft einst aufgebaut.

„Basilikum braucht eigentlich 22 Grad und viel Sonne“, staunt Vertriebsleiter Andreas Brinker selbst über diese Leistung im lichtarmen Emsland. 150 bis 200 Lkw-Züge verlassen das Zentrallager jeden Tag mit frischer Ware.

Doch einen Rest vom Moor gibt es rund um die Fehnsiedlung auch noch, dem Zufall sei Dank. Als der Automobilkonzern Mercedes-Benz 1991 ein riesiges Testareal mit einem Radius von zwölf Kilometern ins Moor südlich der Stadt pflanzen wollte, hatten sich Umweltschützer zunächst zu heftigem Protest in einem provisorischen Hüttendorf versammelt.

Später einigte man sich auf einen Kompromiss, Die Innenflächen des über 700 Hektar großen Areals blieben unberührt, und 1000 Hektar Ausgleichsflächen wurden renaturiert.

20 Jahre nach der Eröffnung ist das abgeschottete Moorgebiet innerhalb des Rings ein wichtiges Refugium für bedrohte Arten. Das sei auch gut so, findet Ludger Stukenborg. Er sagt: „Ohne das Moor gäbe es Papenburg schließlich gar nicht“.

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