Interview mit Norbert Trippen Kölner Prälat - "Die Kirche neigt zur Ängstlichkeit"

Heute vor 50 Jahren begann das Zweite Vatikanische Konzil, für die katholische Kirche eines der wichtigsten Ereignisse im vorigen Jahrhundert. Der Kölner Kirchenhistoriker Prälat Norbert Trippen war zwar nicht dabei, hat aber als Biograf des damaligen Kölner Erzbischofs Josef Kardinal Frings umfangreiche Forschungen angestellt - auch über das Konzil.

Wie ist es zu dem Konzil gekommen?
Trippen: Papst Johannes XXIII. hat in seinem Geistlichen Tagebuch geschrieben, dass ihm wie in einer Eingebung des Heiligen Geistes der Gedanke an ein Konzil gekommen ist.

Warum?
Trippen: Die Kirche sollte überlegen, wie sie ihre Glaubensbotschaft den Menschen in der modernen Sprache nahe bringen kann und die strenge Abgrenzung von der bösen Welt in den Versuch eines Dialoges übergehen kann.

Wie war denn der Zustand der Kirche vor dem Konzil?
Trippen: Sie betrachtete sich als eine in sich geschlossene Gesellschaft, die neben dem Staat stand, ihr eigenes Leben führte und mit der Welt nichts zu tun hatte. Mit der Gründung der UN gab es nach dem Krieg die ersten Ansätze in Richtung einer globalisierten Welt. Eine Kirche, die in dieser Welt etwas bedeuten wollte, durfte nicht mehr von oben herab den Menschen begegnen, sondern musste Gespräche auf Augenhöhe führen.

Johannes sprach von "aggiornamento". Was war gemeint?
Trippen: Es gab einen innerkirchlichen Reformstau. Wenn die Kirche nicht auf das Abstellgleis geraten wollte, musste sie sich auf eine neuzeitliche Entwicklung einlassen.

Wie lief das Konzil ab?
Trippen: Alle Bischöfe waren dabei, höhere Ordensobere, Beobachter aus anderen christlichen Kirchen. Und wie im Bundestag fielen die wichtigsten Vorentscheidungen nicht im Plenum, sondern in Ausschüssen, den Konzilskommissionen.

Über die Besetzung gab es Streit.
Trippen: Die Kurie wollte viele römische Theologen unterbringen. Ihr Ziel war, dass sich in der Kirche so wenig wie möglich verändern sollte. Frings hat aber noch in der ersten Sitzung gesagt: So nicht, wir wollen selbst entscheiden, wer in welcher Kommission sitzt. Damit hat das Konzil eine ganz andere Richtung genommen.

Frings war damals ja schon fast erblindet. Wer hat ihn unterstützt?
Trippen: Der Bonner Kirchenhistoriker Hubert Jedin, Generalvikar Joseph Teusch - übrigens der Erfinder von Misereor und Adveniat - und für die theologischen Fragen ein junger Bonner Universitätsprofessor namens Joseph Ratzinger.

Wie wurde damals in Rom diskutiert?
Trippen: Nehmen Sie die Erklärung über die Religionsfreiheit. Papst Benedikt XVI. hat kürzlich im Libanon fast genau die Formulierungen verwandt, die im Konzil beschlossen wurden: Die Religionen müssen sich gegenseitig respektieren. Jeder muss die Freiheit haben, die Menschen mit seiner Botschaft anzusprechen und darf dabei den anderen nicht verteufeln. In Spanien und Italien war die katholische Kirche vor 50 Jahren noch Staatsreligion, daran wollten die Bischöfe dort nichts ändern. Durch Geschäftsordnungsdebatten suchten sie das alles so weit hinauszuzögern, dass das Konzil darüber zu Ende ging.

Wie in den berühmten Hinterzimmern der Politik.
Trippen: Als Frings im Oktober 1964 davon erfuhr, rief er 16 führende Kardinäle aus aller Welt zusammen, und gemeinsam wurde beschlossen, dem Papst mitzuteilen, die Erklärung zur Religionsfreiheit müsse wieder auf die Tagesordnung. Sie wurde dann als letzte im Dezember 1965 beschlossen.

Wie haben die Bremser damals gedacht?
Trippen: Einer von ihnen, Kardinal Alfredo Ottaviani, der den Vorläufer der Glaubenskongregation leitete, sagte: Ihr könnt beschließen, was ihr wollt. Der Papst wird erst unterschreiben, wenn ich das Plazet gegeben habe. Ich weiß, wie man zu glauben hat. Das ist anders gekommen.

Welche konkreten Auswirkungen hatte das Konzil?
Trippen: Am meisten gemerkt haben die Gläubigen sicher die Reform der Liturgie. Dass der Altar nun in der Mitte steht und der Priester den Menschen zugewandt ist. Vorher stand er am Hochaltar mit dem Rücken zum Volk. Dass im Gottesdienst seitdem eine viel größere Breite an Texten aus dem Neuen und dem Alten Testament vorgetragen wird. Und dass die Ökumene trotz aller Klagen neuen Schwung bekommen hat. Vor dem Konzil gab es noch keine ökumenischen Gottesdienste.

Wie haben Sie selbst das Konzil erlebt?
Trippen: Ich war damals junger Kaplan in Rösrath. Und wir waren sehr überrascht, dass im Konzil entschieden wurde, dass nicht nur der Wortgottesdienst in deutscher Sprache gehalten werden durfte, sondern auch die Eucharistiefeier, das Kernstück der Messe. Wir konnten das gar nicht glauben, wie weit die Reformen gingen.

Innerhalb und außerhalb der Kirche haben viele Menschen den Eindruck, dass die Zeit wieder zurückgedreht worden ist. Ist das so?
Trippen: Das Bischofsamt war aufgewertet worden, man hatte die Bischofskonferenzen als Institutionen geschaffen. Inzwischen ist Rom wieder dabei, vieles zurückzunehmen. Rom hat offenbar wenig Vertrauen in den Beistand des Heiligen Geistes speziell in den Ortskirchen. Es gibt da ein Absicherungsbedürfnis. Das geht keineswegs immer vom Papst aus, aber von seinen Mitarbeitern, die er gewähren lässt. Wenn etwa die deutschen Bischöfe die Diözesananhänge des neuen Gotteslobs zur Genehmigung in Rom vorlegen müssen, dann ist das eine sonderbare Entwicklung.

War das vor 40 Jahren, als das bisherige Gotteslob entwickelt wurde, noch anders?
Trippen: Das ist weitgehend von den Diözesen und den entsprechenden Kommissionen der Bischofskonferenz entwickelt worden.

Wie würden Sie die heutige Zeit mit der während und nach dem Konzil vergleichen?
Trippen: Damals war eine Reformbegeisterung da. Heute gibt es wieder einen gewissen Reformstau. Was etwa die Stellung der Frau, den Zölibat der Priester und die Sexualmoral angeht, da neigt die Kirche zur Ängstlichkeit, zur Vorsicht. Dabei müsste sie sich in einer Offenheit wie sie das auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil getan hat, mit diesen Problemen beschäftigen.

Ist die Zeit reif für ein neues Konzil?
Trippen: Ich glaube nicht, dass die Kirche in ihrer augenblicklichen Stimmungslage bereit wäre, das Risiko eines neuen Konzils einzugehen. Die Gegensätze zwischen den Kirchen in den verschiedenen Kontinenten sind sehr groß. Begrenzte Hoffnungen darf man gewiss auf die Römischen Bischofssynoden und die internationale Zusammensetzung des Kardinalskollegiums setzen.

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