GA-Klimazeitung Immer mehr Menschen wird der Klimawandel bewusst

Meinung | Bonn · Es ist wenig durchdacht, wenn Politprofis Schülern mit großväterlicher Attitüde sagen, dass Deutschland mit aktuell rund 2,5 Prozent der Weltemission nicht das Erdklima retten kann, kommentiert Wolfgang Wiedlich.

Sie zweifeln nicht am Klimawandel, aber an der Wissenschaft und daran, dass er menschengemacht ist? Dann brauchen Sie nicht weiterzulesen. Diese Klimazeitung basiert auf dem Stand der Wissenschaft, weshalb sie auch nicht vor „Wir-schaffen-das“-Zuversicht sprüht – sprühen kann. Wie sollte es in einer modernen Wissensgesellschaft, wie wir uns gelegentlich nennen, auch anders sein?

Tatsächlich sind die wissenschaftlichen Indizien, Beweise und Plausibilitäten seit 30 Jahren bekannt. Der Planet erwärmt sich 100 Mal schneller als bei vergangenen Kalt-/Warmzeit-Wechseln, während die weltweite Klimaschutz-Gemeinschaft weiter viele kleine Schritte in die richtige Richtung macht und Ziele formuliert, an die sich niemand gebunden fühlt und die schon am Verkündungstag vom beschleunigten Klimawandel überholt wurden.

Die Messlatte liegt seit 2018 bei 1,5 Grad Celsius. Wärmer darf es im Durchschnitt nicht werden, und die wachsenden Treibhausgase der Zivilisation haben uns bereits verdammt nahe an diese Messlatte gebracht. Von allen Fronten funkt der Planet SOS. Dennoch herrscht in Medien und Politik weiter eine unverfrorene Lässigkeit und sind etwa angeschossene Öltanker wichtiger als der sich gerade auflösende Eisschild der Westantarktis. Bedeutet: drei bis vier Meter Meeresspiegelanstieg. Echt? Echt! Der Ozeanpegel ist schon lange keine Angelegenheit von Millimetern und Zentimetern mehr.

Es liegt indes nicht nur eine Heißzeit in der Luft, sondern etwas Neues und Ungewohntes. Neu ist, dass das Zusteuern auf einen Zustand, ab dem in acht bis zehn Jahren pure Physik das Klima in eine Erwärmungsspirale drängt, immer mehr Menschen bewusst wird. Neu ist vor allem, dass die Hauptbetroffenen ihre digitalen Welten nicht nur zum Smalltalk nutzen, sie haben sich dort auch über ihre eigene Bedrohungslage schlau gemacht.

Flugticket billiger als Weg zum Flughafen

Es ist kein Hexenwerk, Forschern via Internet in die Ermittlungsakten zu schauen, um festzustellen, dass die Politik zur Klimakrise meist nur Märchen erzählt. Deshalb eine Greta Thunberg, deshalb die „Fridays for Future“-Bewegung, deshalb ein – zumindest im Klimateil – faktenfester Youtuber. Stets war es im wohltemperierten Holozän, das seit mehr als 10.000 Jahren unsere Existenz ermöglichte, so, dass die Zukunft etwas Besseres verhieß als die Gegenwart. Die Zweifel an dieser unausgesprochenen Regel sind bei jenen, denen diese Zukunft „gehört“, gewachsen. Nicht nur das: Dieser Zweifel hat sich wie einst das iPhone verbreitet. Die Klimakrise ist, wie die ignorierte ökologische Frage überhaupt, zum handfesten Generationenkonflikt geworden. Die Jungen rebellieren gegen ein stoisches „Weiter so“ und ziehen eine rote Linie.

Wie die konventionellen Politikmacher in Deutschland das neue Momentum aufgreifen, ist ungewiss. Einstweilen erscheinen sie mit ihrem alten Kompass, dem Volk möglichst nichts und noch nicht einmal die Rettung der Welt zuzumuten, ratlos. Eine simple Frage entlarvt die fehlende Ernsthaftigkeit: Wie kann ein Nahverkehrsticket zum Flughafen acht Euro kosten und der Superbillig-Flug nach Mallorca 20 Euro?

Deutschland befindet sich international in heikler Situation

Deutschland befindet sich international in einer heiklen Situation: Hochtechnologie-Nation, als Wirtschaftswunderland einer der größten Treibhausgas-Sünder der Vergangenheit, mit einer verunglückten Energiewende unterwegs, auch mit einer „Klimakanzlerin“, die als Physikerin den (klimaunfreundlichen) Atomausstieg auf den Weg brachte, was die (klimaschädliche) Verbrennung der Braunkohle beflügelte, und die dann den Einflüsterern des Verbrennungsmotors erlag. Wenn das Land der Ingenieure die Energiewende nicht schafft, wer dann? Deshalb ist es wenig durchdacht, wenn Politprofis Schülern mit großväterlicher Attitüde sagen, dass Deutschland mit aktuell rund 2,5 Prozent der Weltemission nicht das Erdklima retten kann. Das Land hat gestern schließlich einen Großteil des Klimawandels von heute mitverursacht.

Natürlich überfordert die Komplexität der Moderne die Politik und fördert der Wiederwahl-Zwang das Verschweigen mancher Klimawahrheit. Jene, die um ihre Zukunft kämpfen, sehnen sich indes nach einer Merkel-Rede fürs Geschichtsbuch. Sie könnte so beginnen: „Es beginnt eine neue Zeit. Naturgesetze, die keine Kompromisse kennen, haben uns ein Ultimatum gestellt. Wir müssen jetzt das Unvermeidliche tun. Und wir geben zu: Das Versprechen, dass sich der Übergang in ein kohlenstofffreies Zeitalter wie eine etwas andere Pauschalreise anfühlt, war eine Illusion.“

Wer weiß: Vielleicht braucht es auch mehr Experten in einer – übergangsweisen – Klimawende-Regierung. Vorteil: Die wollen nicht wiedergewählt werden und können das Richtige tun.

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