Selbstversuch auf Kölner Computerspielmesse Zwei Generationen im Spielerausch auf der Gamescom

Köln · Rund 500.000 Besucher werden bis Sonntag zur Spielemesse erwartet. Unsere Reporter Fabian Vögtle und Frank Rintelmann mit seinem Sohn Philipp haben einen Selbstversuch mit VR-Brillen und Fahrsimulator gewagt.

Üblicherweise erklären Eltern ihrem Nachwuchs die Welt. In der Welt der Spiele ist vieles anders. Gamescom 2016 in Köln. Eine halbe Million Besucher werden an fünf Tagen erwartet, zum Schauen, vor allem aber zum Ausprobieren. Hunderte Spiele von 850 verschiedenen Anbietern aus mehr als 50 Ländern locken mit zum Teil haushohen Videoleinwänden. Die Atmosphäre im Las Vegas für Schüler: bunt, grell, laut und schon am ersten Fachbesuchertag proppenvoll. Mittendrin im Paradies für Zocker: ein Vater mit seinem Sohn. Ein Laie mittleren Alters und ein Experte, Philipp, 16 Jahre alt. Einer, für den die Welt der Spiele fremd ist, und einer, dem sie vertraut ist.

9 Uhr, die Tore öffnen sich. Schon im Vorfeld hatte die Messegesellschaft die Besucher aus Sicherheitsgründen darum gebeten, auf Taschen und Rücksäcke zu verzichten. Allerdings sind die Sicherheitsvorkehrungen am Morgen eher virtuell. Ein Aufzug bringt Besucher vom Parkdeck ohne Kontrolle mitten ins Geschehen in die Messehalle. Die Verwunderung weicht schnell der Freude, den Schlangen an den Eingängen entgangen zu sein. Geduld ist im Übrigen eine Tugend, die die Gamescom-Gäste unbedingt mitbringen müssen. Denn vor das Zocken haben die Anbieter das Spiel auf Zeit gestellt. Freundliche Hinweise informieren die Wartenden, wie viele Minuten, oft sogar Stunden noch vergehen werden, ehe das ersehnte Spiel tatsächlich beginnen kann.

Vor allem zwei Schwerpunkte ziehen sich durch die bunte Welt des Gamings wie ein roter Faden: Virtuelle Realität und E-Sport. In die virtuelle Welt taucht man mittels einer Spezialbrille (Virtual-Reality-Brille) ein. Zwei Systeme beherrschen den Markt: HTC Vive und Oculus Rift. Die Playstation VR will im Oktober den Markt erobern. In Köln lädt ein Fahrsimulator namens Driveclub auf die Rennstrecke ein. Platz nehmen im Schalensitz, Brille und Kopfhörer aufgesetzt, der Draht zur Außenwelt ist gekappt. Das 360-Grad-Erlebnis begeistert den jugendlichen Experten deutlich mehr als seinen Vater: „Das hat Spaß gemacht.“

Ein echtes Wow-Gefühl stellt sich selbst für den spieleabstinenten Erziehungsberechtigten im Gang nebenan ein. Hier lädt Sony dazu ein, für einige Minuten Batman zu sein. Playstation-VR-Brille, Kopfhörer, zwei Bewegungskontroller, um seine Hände auch in der virtuellen Welt benutzen zu können – mehr braucht es nicht. Der Effekt ist überwältigend. Der Spieler glaubt sich dank einer beinahe naturgetreuen Darstellung in eine Scheinwelt versetzt. Ein ganz anderes Erlebnis als Daddeln vor dem PC-Bildschirm. „Mittendrin, nicht nur dabei. Eine Technik mit Suchtfaktor, aber im positiven Sinn“, lautet das Resümee des Älteren. Lob in höchsten Tönen auch vom Junior-Fachmann: „Diese Brillengeneration ist noch besser als die Brillen, die bereits auf dem Markt sind.“

Dass Spielen nicht nur Spaß, sondern auch reich und bekannt machen kann, beweisen ein Dutzend Gamer in der E-Sport-Arena von „Heroes of the storm“. Mehrere Profiteams kämpfen in diesem Wettbewerb vor den Augen des begeisterten Publikums um Ruhm und Ehre und ein Preisgeld von einer satten Million Euro. „Ich habe Dir ja gesagt, dass man mit Spielen auch Geld verdienen kann“, frohlockt der Nachwuchs im Hinblick auf bevorstehende Trainingseinheiten am heimischen Computer.

Neben den Profis sind auch spielbegeisterte Politiker dabei. „Auf dieser Messe gibt es sicher intensive Spielerlebnisse“, sagt Henriette Reker zu Beginn ihrer ersten Gamescom. Kurze Zeit später findet sich die Kölner Oberbürgermeisterin schon mittendrin statt nur dabei. Zusammen mit Dorothea Bär, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur, tanzt sie zum Hit „Cake by the ocean“ auf der Bühne von Ubisoft. Vor allem Bär macht beim beliebten Musikspiel „Just Dance“ eine glänzende Figur. Ihre zehnjährige Tochter ist begeistert und hält den Moment mit ihrem Smartphone fest. „Das ist echt cool hier“, freut sich die Kleine. Sie ist zum ersten Mal bei einer Dienstreise der CSU-Politikerin dabei. „Jetzt sieht sie mal, dass der Job der Mama gar nicht so langweilig ist“, sagt Bär.

Beim Hersteller Crytek klettern sowohl Mutter als auch Tochter an einer steilen Felswand hinauf. Action und Nervenkitzel sind wohl auch bei den Bärs beliebt, die Klettersimulation „The Climb“ lässt beide zu Höhentaten schreiten. Selfies mit VR-Brille auf den Augen und Controllern, die wie Griffe benutzt werden, an den Händen gehören selbstverständlich dazu.

„Die E-Sport-Szene bietet fast mehr, als derzeit bei Olympia zu sehen ist“, sagt Maximilian Schenk. Für den Geschäftsführer des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware gehören Mensch und Maschine beim Gaming miteinander verbunden und zwar über Grenzen hinweg. „Leider lassen wir in Deutschland unser Potenzial im Vergleich zu anderen Ländern liegen. Die klassischen Medien werden mehr gefördert. Da muss einfach mehr für uns kommen“, fordert Schenk.

Neben den Bühnen der großen Hersteller lohnt auch ein Blick in die Indie-Area der Gamescom. Dort präsentieren die kleinen Entwickler ihre neuesten Spiele. „Wir werden immer wahnsinniger“, sagt Dayo Eberlei, Manager für den Bereich. „Die Indie-Szene wächst und wächst, und davon profitieren auch wir“.

Auch das Thema Spielsucht gehört auf eine Computerspielmesse. Psychotherapeut Bert Theodor te Wildt betreibt seit 2012 in Bochum eine Ambulanz für Medienabhängige. Er hat schon viele Internet- und Computerspielsüchtige behandelt. „Wir müssen die Leute da abholen, wo die Sucht beginnt“, sagt er. Deshalb präsentiert er mit Oasis auf der Gamescom die erste Onlinesprechstunde für Abhängige. Bei dem Selbsttest im Internet kann man überprüfen, ob man gefährdet ist. Im zweiten Schritt des Hilfsprojekts, das vom Bund gefördert wird, bieten er und seine Kollegen Webcam-basierte Sprechstunden an. „Die digitale Revolution hat die menschliche Psyche vor neue Herausforderungen gestellt“, sagt de Wildt. Eine Computerspielsucht habe es früher zwar auch schon gegeben. „Vor 13 Jahren hat es Menschen gegeben, die von Counterstrike abhängig waren.“ Aber erst mit der Bedeutung des Internets hätte die Suchttendenz zugenommen. „Das liegt an den Belohnungsreizen, der ständigen Kommunikation mit Gleichgesinnten und damit den Fluchtmöglichkeiten aus dem Alltag, die viele Spiele bieten.“

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