KI-Forschung am Fraunhofer Institut Wenn Roboter die Nachrichten auf Echtheit prüfen

Sankt Augustin · Am Fraunhofer-Institut in Sankt Augustin arbeiten Wissenschaftler an Robotern. Bonner Start-ups bringen die neuen Helfer auf den Markt, und die Hochschulen der Umgebung bilden die Experten von morgen aus.

Bei neuen technischen Entwicklungen, wie Robotern oder Sprachassistenten kommen einem schnell so bekannte Namen wie das kalifornische Silicon Valley oder aber auch asiatische Metropolen in den Sinn. Dabei liegt eine Wiege der Robotik direkt vor unserer Haustür - mitten in einem Waldstück von Sankt Augustin. Auf dem Areal rund um Schloss Birlinghoven entwickeln 800 Mitarbeiter der Fraunhofer-Institute die Technik von morgen. KI ist dabei nur ein Themengebiet, mit dem sich das Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme, kurz IAIS, beschäftigt. Aber ein Anwendungsgebiet, das immer mehr Aufmerksamkeit erlangt.

Ein ganzer Pavillon ist der Robotik gewidmet. Hier entstehen die Exemplare, die auch weltweit Beachtung finden. So erlangte im vergangenen Jahr das Team NimbRo der Bonner Uni bei der "International Robotics Challenge" in Abu Dhabi den Titel. "Wir haben in Bonn und der Region eine unglaublich gute Mathematik und Informatik", sagt Dirk Hecker, stellvertretender Institutsleiter. Viele Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts haben gleichzeitig Lehraufträge an der Uni Bonn, es gibt Kooperationen mit der Hochschule Bonn/Rhein-Sieg. Übrigens fast selbstverständlich, dass auf dem Gelände in Birlinghoven ein kleiner Rasenmäherroboter seine Runden über die Grünflächen dreht.

An einem der vielfältigen KI-Projekte arbeitet Hagen Jäger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IAIS. Mithilfe der App "i Prognosis" will er Frühwarnzeichen einer Parkinson-Erkrankung feststellen. Das Smartphone wird dabei zum Messgerät und zur Sammelmappe gesundheitlicher Daten. So zeichnet die App Veränderungen der Sprache beim Telefonieren auf und dokumentiert, wie ruhig der Nutzer sein Smartphone beim Tippen einer Textnachricht in der Hand hält. Mögliche Hinweise auf eine Erkrankung soll dabei eine KI erkennen und melden. "Die Daten sollen für einen Mediziner lesbar werden", erklärt Jäger. Das Projekt läuft mit internationalen Kooperationspartnern in Thessaloniki und London, Jäger arbeitet an dem Sprachpart mit. "Wir standen vor der Schwierigkeit, Sprache aufzuzeichnen, ohne den Inhalt zu bewerten", erklärt der IT-Spezialist.

Detektor erfasst Echtheit der Nachrichten

Gleichzeitig befasst sich Jäger mit einem weiteren Projekt, das vor allem Journalisten die tägliche Arbeit erleichtern soll. "Zeige mir Videos mit Merkel", gibt er dem Computerprogramm vor. Sekunden später erscheinen Beiträge über die Kanzlerin. Das Audio-Mining-System ist seit April 2015 für die ARD im Einsatz und durchsucht die Mediathek täglich nach Audio- und Videodaten. Die KI ist hierbei darauf trainiert, bestimmte Schlagwörter zu erkennen und Videobeiträge danach zu durchforsten. Jägers Aufgabe besteht darin, dem System weitere aktuelle Schlagwörter beizubringen.

"Die von uns erhobenen Daten werden mit aktuellen Daten aus dem Internet aktualisiert. Man bereitet das Training vor und überwacht es dann. Vor 20 Jahren hätte man diese Trainings nicht durchführen können", erklärt er. Die Trainingsdatenbank verfügt derzeit über mehr als 500 000 Wörter. Aber die Wissenschaftler wollen derartige Spracherkennungssysteme auf die nächste Stufe heben: Zukünftig sollen sie sich per Sprache steuern lassen und auch auf Fragen direkt antworten können.

Sein Kollege Sven Giesselbach, Data Scientist am IAIS, setzt KI hingegen zum Verifizieren von Nachrichtenbeiträgen ein. Mit dem "Fake News Detector" sollen zukünftig Artikel aus dem Internet auf ihre Echtheit hin überprüft werden. Das System wird darauf trainiert, Texte anderer Medien mit dem Inhalt der potenziellen Fake News abzugleichen und zu messen, inwieweit die Inhalte mit anderen Quellen übereinstimmen. Anhand dessen wird eine Prognose abgegeben, ob es sich bei dem Artikel eher um eine Falschmeldung oder eine Nachricht handelt. "Später soll das auch zum Browser-Plug-in werden", so Giesselbach.

"Cartwatch" überwacht Kassenbereiche

Den Sprung aus der Forschung auf den internationalen Markt hat das Bonner Start-up "Cartwatch" bereits geschafft. Entwickelt wurde die Technik von vier Bonner Studenten aus den Fachbereichen der Mathematik, Informatik und Volkswirtschaftslehre. Ihre Idee: Supermärkte besser gegen Diebe schützen - mittels Überwachungskameras und KI. Vor fünf Jahren wurden Christoph Schwerdtfeger, Luke Miller sowie Philipp und Felix Müller zum ersten Mal auf das Thema KI aufmerksam - als Maschinen zu lernen begannen und große Rechenleistungen möglich wurden. "Dieser Sprung war der Auslöser. Da wollten wir dabei sein", erinnert sich Philipp Müller. In Bonn bewarben sie sich mit Hilfe der Uni für das Exist-Gründer-Stipendium. Know-how und Beratung bekamen sie dabei auch vom Fraunhofer-Institut.

Mittlerweile ist ihr Überwachungssystem "Cartwatch" nicht nur in deutschen Supermärkten in Betrieb, sondern auch in internationalen Filialen. Kameras übertragen die Aufnahme vom Kassenbereich an eine Maschine, die die Bilder auf den Inhalt der Einkaufswagen prüft. Sie hat gelernt zu erkennen, ob ein Einkaufswagen leer ist oder ob sich darin noch Ware befindet, die unbemerkt an der Kasse vorbeigeschleust wird. "Die Kamera analysiert in Echtzeit die Bilder", erklärt Müller. Sollte der Wagen nicht leer sein, wird dem Kassierer automatisch ein Bild zugeschickt. Von Bonn aus ging es für die Gründer mittlerweile in die Hauptstadt. "Cartwatch" ist aber nur eine Ausgründung aus der Uni Bonn, auch "KS Research" und "Escarda" bauen auf smarte Maschinen.

Auf visuelle Intelligenz und Sensortechnik setzt auch das Bad Godesberger Unternehmen "RailWatch", das den Güterzugverkehr optimieren will. Ein in die Gleise integriertes System scannt die Züge während der Überfahrt - auf Typ, Ladung und Verschleiß. Das Ziel: den Güterverkehr sicherer und effizienter machen. "Die Systeme werden trainiert, bis sie die Schäden erkennen", erklärt Geschäftsführer Michael Breuer. Defekte Räder sollen so frühzeitig ausgetauscht werden können. Zum Einsatz kommt die Technik bereits in Bremerhaven, ebenso im Oberen Rheintal. In Zusammenarbeit mit dem TÜV Rheinland wird das System auf seine Genauigkeit hin geprüft. "Ergänzend sollen mobile Systeme entwickelt werden", so Breuer.

Hochschulen in der Region leisten Beitrag

RailWatch, Cartwatch und auch die anderen Start-ups haben eines gemeinsam - sie verwenden "Machine Learning Methodes", also Maschinelles Lernen. Diese Kompetenz soll in Bonn künftig weiter ausgebaut werden. Gerade erst sind Bonn und Sankt Augustin gemeinsam mit Dortmund vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zum "Kompetenzzentrum Maschinelles Lernen Rhein-Ruhr" ernannt worden. Neben Berlin, Bayern und Baden-Württemberg das vierte Spitzenforschungszentrum, das eine spezielle Förderung des Bundes erhält. "Das ist eine besondere Auszeichnung für die Region. Exzellenz zieht Exzellenz an", sagt Hecker.

Die Kompetenz soll auch weitergegeben werden. Im Fraunhofer werden daher Schulungen rund um Robotik und KI angeboten - für Kinder bis hin zu Managern und Landwirten, die in ihrem Jobs zunehmend mit neuen Technologien konfrontiert werden. Dabei geht es nicht nur um das technische Verständnis, wie Hecker erklärt: "Auch das entsprechende Vokabular muss gelernt werden. Insgesamt fehlt die gesellschaftliche Aufklärung".

Auch die Universitäten und Hochschulen in der Region leisten ihren Beitrag dazu. Allein sechs Lehrstühle für Informatik befassen sich an der Bonner Uni mit dem Thema "Intelligente Systeme". In den vergangenen Jahren wurden die Bereiche Data-Science und Künstliche Intelligenz stetig ausgebaut. In den nächsten Monaten sollen nach Auskunft von Professor Stefan Wrobel, Professor für Informatik und IAIS-Institutsleiter, weitere Dozenten nach Bonn kommen. Ein weiterer Meilenstein für die KI-Forschung war die Vergabe des Exzellenzclusters "PhenoRob" an die Uni Bonn.

An dem Projekt zum Einsatz von Robotern in der Landwirtschaft ist unter anderem auch das Fraunhofer beteiligt. "Wir planen, das Thema KI und die Querverbindungen zu Neurowissenschaften, der Medizin oder Philosophie im Zuge des Exzellenzclusters weiter zu stärken", sagt Wrobel. Auch die Nachfrage nach KI-spezifischen Studiengängen wächst: An der Uni Bonn, dem Bonn-Aachen International Center for Information Technology und der Hochschule Bonn/Rhein-Sieg sitzen mittlerweile Studenten aus der ganzen Welt.

In einer Serie widmet sich der GA der Künstlichen Intelligenz. Der nächste Teil erscheint am Mittwoch, 31.Oktober, und beleuchtet das Thema aus ethischer und theologischer Perspektive. Alle erschienenen Serienteile gibt es auch unter GA-Serie Künstliche Intelligenz

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