Bürgermeister Guido Orthen im GA-Interview Die aktuelle Situation der Kreisstadt und ihre Perspektiven

KREISSTADT · Die Aktiengesellschaft Bad Neuenahr (AGBN), auch Kur AG genannt, stellt den Kurbetrieb als Geschäftsfeld mit Ablauf des Jahres 2013 endgültig ein. Sie hat den Pachtvertrag mit der Stadt zum Jahresende gekündigt. Bürgermeister Guido Orthen geht davon aus, dass der Stadt fortan dann auch die Spielbankabgabe in voller Höhe zufließen wird. Über die aktuelle Situation, die Ziel und Perspektiven der Stadt sprach mit ihm Victor Francke.

In Bad Neuenahr-Ahrweiler scheint ein wahrer Bauboom ausgebrochen. Überall stehen Kräne, rollen Bagger, entstehen neue Wohnungen. Wie erklären Sie sich diesen Run auf noch freien Grund und Boden?
Guido Orthen: Städte erleben derzeit eine Renaissance. Das ist ein Trend, nicht nur hier bei uns. Viele gesellschaftliche Entwicklungen tragen dazu bei, dass es wieder attraktiv geworden ist in die Zentren zu ziehen. Eine starke und leistungsfähige Infrastruktur, ein attraktiver Einzelhandel sowie variantenreiche Bildungs- und Kulturangebote spielen hier sicherlich eine Rolle. In unserem Fall kommen noch die Vorzüge eines Wirtschaftsstandorts hinzu, der stark auf Genuss, Gesundheit und Tourismus ausgerichtet ist. Neben diesen Trends führt aber sicherlich auch die wirtschaftliche Situation zur wachsenden Nachfrage nach Immobilien-Eigentum.

Gerne wird kolportiert, in der Stadt gebe es nur noch Platz für die finanziell Bessergestellten, für die Wohlhabenden. Ist das so? Müssen die sozial Schwachen an den Stadtrand, weil es nur noch da bezahlbaren Wohnraum gibt?
Orthen: Klar, die steigenden Immobilienpreise erreichen auch den Mietmarkt. Gerade in großen Städten ist es zu explosionsartigen Entwicklungen der Miet- und Kaufpreise gekommen. "Problem erkannt, Problem gebannt" ist in diesem Fall nicht so leicht umzusetzen. Erstens sind Grundstückseigentümer grundsätzlich frei, an wen sie ihr Grundstück zu welchem Preis verkaufen, und zweitens ist staatlicher Zwang und Bevormundung nicht meine Politik.

Angebot und Nachfrage regulieren hier die Bedingungen. Alle Möglichkeiten, die bestehen, um mit öffentlichen Mitteln ein ausgewogenes Angebot vorzuhalten, haben wir jedoch seit Jahren eingesetzt. Was unsere eigenen Grundstücke anbetrifft: Wir vergeben sie auf der Grundlage eines Profils, das regelmäßig nicht auf "Luxusbau" ausgerichtet ist. Wo immer die Stadt selbst als Verkäuferin von Baugrundstücken agieren kann, wird alles daran gesetzt, diese zielgruppenspezifisch zu vermarkten.

Damit wollen wir einen gewissen Kontrapunkt zu eben jenen Tendenzen des freien Marktes setzen. Hinweisen möchte ich außerdem auf unser Baulandmanagement, mit dem das Angebot vergrößert werden soll. Hier geht als Eigentümer die Stadt mit den Grundstücken an den Markt und vergibt nach definierten und öffentlich zugänglichen Kriterien, die insbesondere soziale Aspekte beinhalten.

Die Stadt steht vor gewaltigen Herausforderungen: Das Twin ist so sanierungsbedürftig, dass sich eine Investition in das vorhandene Bad nicht mehr lohnt. Von einem Neubau ist die Rede. Wie soll der finanziert werden?
Orthen: Der Stadtrat hat als mögliche Standorte für einen Twin-Neubau das Ahrstadion Ahrweiler oder Flächen im Bereich des Apollinarisstadions und die Erich-Kästner-Realschule im Stadtteil Bachem ins Auge gefasst.

Diese werden derzeit weiter geprüft. Der Noch-Standort bietet dagegen ein hohes städtebauliches Entwicklungspotenzial und kann insoweit mit zur Finanzierung eines Neubaus herangezogen werden. Wir sehen ein Schwimmbad weiter als Gemeinschaftsaufgabe - und insoweit wird es ohne Zuschüsse von Land und Kreis nicht zu einem Neubau kommen ...

... Aber das Land fördert doch gar keinen Schwimmbadbau mehr ...
Orthen: Das stimmt nicht so ganz. Das Land unterstützt den Bau eines vergleichbaren Hallenbades in Konz mit runden 2,5 Millionen Euro. Richtig ist allerdings, dass das Land nur insgesamt noch begrenzte Mittel zur Verfügung stellt. Das Twin ist das letzte sportlich nutzbare Hallenbad im Kreis Ahrweiler, in dem insbesondere das Schul- und Vereinsschwimmen durchgeführt werden kann. Aufgrund dieses Alleinstellungsmerkmales besteht aus unserer Sicht hinsichtlich einer Landesförderung eine veränderte Ausgangslage.

Apropos Bäder: Die Ahr-Thermen taumeln am Abgrund entlang. Die Kur AG hat der Stadt diesen wichtigen Imageträger zum Kauf angeboten. Auch hier drängt sich die Frage auf: Wie sollen ein Kauf und insbesondere die alljährlichen dramatischen Unterdeckungen bei den Betriebskosten finanziert werden?
Orthen: Bei allen im Kontext mit der AGBN erfolgten und in der Zukunft zu ergreifenden Maßnahmen geht es der Stadt nicht um die Stützung der Beteiligungsgesellschaft, sondern um die Erhaltung der Rahmenbedingungen, die für die wirtschaftliche Prosperität der Stadt und die Lebensqualität der Bürger sowie der Gäste von Bedeutung sind.

Zunächst einmal: ja, es gibt ein Angebot der Aktiengesellschaft an die Stadt. Das ist geprüft und in dieser Form abgelehnt, denn wir werden nicht um jeden Preis erwerben. Die Stadt hat hier eine Entscheidung im Spannungsfeld "betriebswirtschaftlich sinnvoll" und "Erfüllung eines öffentlichen Auftrags" zu treffen. Es wird keinen Erwerb um jeden Preis geben. Seien Sie daher sicher, dass es eine Sozialisierung der bestehenden Verbindlichkeiten und Defizite nicht geben wird.

Das überrascht uns jetzt schon etwas ...
Orthen: Es gibt auch Thermen, die ohne ausgewiesene Unterhaltungszuschüsse des Eigentümers schwarze Zahlen schreiben, wenn vernünftige Konzepte zugrunde liegen.

Wie schätzen Sie denn die Zukunft der Kur AG ein? Gibt es das Unternehmen, an dem die Stadt mit etwas mehr als 27 Prozent beteiligt ist, in drei Jahren noch?
Orthen: Ob das Unternehmen eine Zukunft hat, liegt entscheidend am Erfolg eines Restrukturierungskonzepts. Die Stadt hat es nicht in der Hand. Die Sperrminorität vermittelt dem Gesellschafter nur eingeschränkte Möglichkeiten der Einflussnahme. Es ist nur mit entsprechenden Mehrheiten möglich, in den Gesellschaftsgremien Zielvorstellungen durchzusetzen.

Im Moment können Sie wohl eher froh sein, dass Sie keine Mehrheit in dieser AG haben ...
Orthen: Wir sind mit unserer Rolle zufrieden und haben in den vergangenen zwei Jahren sehr viel erreicht.

Reicht die Aufgabenstellung der Kur AG noch aus, um die Spielbankabgabe als Einnahme zu rechtfertigen?
Orthen: Die korrekte Bezeichnung ist "Aktiengesellschaft Bad Neuenahr" und nicht "Kur AG". Die Name als "Kur AG" ist der Historie geschuldet und engt den Blick auf das heutige Unternehmen ein. Tatsächlich betreibt die AG neben dem Fitnessstudio auch eine Seniorenresidenz sowie Vermietung und Verpachtung.

Den Kurbetrieb als Geschäftsfeld stellt die Aktiengesellschaft mit Ablauf des Jahres 2013 endgültig ein. Sie hat den Pachtvertrag mit der Stadt zum Jahresende gekündigt. Nimmt man den Gesetzestext in den Blick, stellt sich in der Tat die Frage nach der Anspruchsberechtigung hinsichtlich der Spielbankabgabe neu.

Heißt: Der Stadt steht die Spielbankabgabe dann in voller Höhe zu?
Orthen: So sehe ich das.

Was sagen denn eigentlich die anderen Eigner der Kur AG zur Entwicklung ihres Unternehmens? Muss die Stadt eigentlich etwas mehr Investitionsbereitschaft und Innovationskraft von ihnen abfordern?
Orthen: Die Gesellschafter müssen in dieser Situation handeln. Wie bereits angesprochen, ist die Möglichkeit der Einflussnahme der Stadt als Aktionärin mit Sperrminorität beschränkt. Die großen Aktionäre sind sich einig, dass sie den Fortbestand der AGBN sichern wollen.

Zum 30. August lädt die Kur AG zur Hauptversammlung. Freuen Sie sich darauf?
Orthen: In einer solchen Situation, in der sich das Unternehmen befindet, kann sich kein Aktionär freuen.

Eine weitere Stadt-Tochter sind die Ahrtal-Werke. Sind Sie mit der Entwicklung dieses Unternehmens zufrieden?
Orthen: Ja, das bin ich. Auch wenn es sicher noch nicht der Moment für ein Fazit ist. Wir haben mit der Gründung eines eigenen Energieversorgungsunternehmens bewusst Neuland betreten. Der Stadtrat hat unter meinem Amtsvorgänger diese Entscheidung einmütig getroffen, im Bewusstsein, damit ein mittel- bis langfristiges Projekt zu starten. Wir haben uns auf Hürden eingestellt.

Die Konzessionen für Strom und Gas liegen bereits bei den Ahrtal-Werken. Der Aufbau und die Inbetriebnahme eines Fernwärmenetzes stellt für unsere Stadt eine enorme Innovation dar. Es sind Millionen-Investitionen in den Standort geflossen, die uns ein Stück zukunftsfest machen sollen. Wir sind dabei das Stromnetz zu erwerben. Die Vorbereitungen für die Übernahme des Gasnetzes laufen ebenfalls an.

Andere bewerten das anders. Wo es aber sicherlich Konsens gibt: Erfreulich dürfte die Bewerbung der Kreisstadt als "Austragungsort" der Landesgartenschau sein. Wie stehen Ihrer Meinung nach die Chancen?
Orthen: Die Bewerbung ist ein ernstzunehmendes Thema. Doch ist die Ausrichtung gegenüber der letzen Bewerbung eine völlig andere: Die Stadt ist Eigentümerin aller Parkanlagen und daher soll sich die Bewerbung auf Bad Neuenahr-Ahrweiler konzentrieren. Ob dieses Konzept realisierbar ist und wie die Bewerbungsaussichten und vor allem die Planungen des Landes zum Thema Gartenschauen insgesamt aussehen, kann derzeit allerdings noch nicht gesagt werden.

Ein Wort zum geplanten FOC auf der benachbarten Grafschaft. Dort will man bekanntlich an dem Vorhaben festhalten. Sie hingegen befürchten Nachteile für den örtlichen Einzelhandel. Die Erfahrungen in Wertheim oder Roermond zeigen aber doch genau das Gegenteil auf. Dort lebt der Einzelhandel gerade wegen der FOCs und der Synergieeffekte auf ...
Orthen: Zum FOC ist alles gesagt.

Seit dem Frühjahr erfreuen sich die Autofahrer am städtischen "Blitzer-Mobil", mit dem Sie Rasern auf der Spur sind. Das Kennzeichen "AW-HK" dürfte für "Haushaltskonsolidierung" stehen. Hand aufs Herz: Wie hoch sind die bisherigen Einnahmen?
Orthen: Also HK könnte natürlich auch für den Wunsch nach "hoher Konzentration" im Straßenverkehr stehen. Denn wenn sich hier alle verkehrsgerecht und rücksichtsvoll verhalten würden, müssten wir uns weniger Gedanken um die Sicherheit im innerstädtischen Straßenverkehr machen. Es ist gut, dass unsere kommunale Verkehrsüberwachung seit Anfang Juni nicht nur den ruhenden, sondern auch den fließenden Verkehr im Blick hat ...

...Und Sie die Einnahmen im Blick haben?
Orthen: Wir haben seit Juni rund 40.000 Euro eingenommen. Das dürfte nicht die Welt sein.

Zur Person

Guido Orthen wurde 1966 in Heimersheim geboren. 2010 wurde der Jurist bei der Bürgermeisterwahl in Bad Neuenahr-Ahrweiler im ersten Wahlgang gegen fünf Mitbewerber zum Bürgermeister gewählt. Zuvor war Orthen hauptamtlicher Erster Beigeordneter der Stadt. Seit 1982 gehört Orthen der CDU an. Der Bürgermeister der Kreisstadt hatte im vergangenen Jahr sein Amt als stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates der Aktiengesellschaft Bad Neuenahr niedergelegt. Dem Gremium gehört er jedoch nach wie vor als einfaches Mitglied an.

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