Interview und neue CD "Delta Machine" Depeche Mode: Mit Blues in den Himmel

Dramen und Drogen waren gestern. Mit einer bewundernswerten Präzision gehen Dave Gahan, Martin Gore und Andy Fletcher mehr als drei Jahrzehnte nach Gründung ihrer nach wie vor wohl global erfolgreichen und bedeutenden Synthie-Popband zu Werke. Alle vier Jahre ein neues Album, alle vier Jahre eine neue Tournee. Der jüngste Tonträger hört auf den Titel "Delta Machine" und ist ein wenig stärker als gewohnt vom Blues beeinflusst. Mit Hauptsongschreiber Martin Gore sprach Steffen Rüth über wilde alte Zeiten, Träume, Sex und Fitness.

 Die drei von Depeche Mode: Martin Gore, Dave Gahan und Andy Fletscher (von links).

Die drei von Depeche Mode: Martin Gore, Dave Gahan und Andy Fletscher (von links).

Foto: Anton Corbijn, dpa

GA: Martin, wie ist die aktuelle Stimmung?
Martin Gore: Wir sind gerade heftig am Proben für die Tournee. Bis jetzt funktioniert alles sehr gut und sehr reibungslos. Wir sind in der glücklichen Position, dass auf dem neuen Album viele Songs enthalten sind, die sehr gut zur Idee eines Live-Auftritts passen.

GA: Wie meinst Du das?
Gore: Die Nummern haben Druck und Energie, was auf der Bühne stets von Vorteil ist.

GA: Ist euch "Delta Machine" insgesamt leicht von der Hand gegangen?
Gore: Die Arbeit an dieser Platte war eine durch und durch harmonische Erfahrung. Es gab keinen Stress, es gab keine Dramen, alle haben sich lieb gehabt.

GA: Früher hat es regelmäßig Reibereien zwischen Dave Gahan und dir gegeben.
Gore: Das hat sich beruhigt und eingependelt. Dave hat drei Songs für dieses neue Album geschrieben, sie fügen sich nach meinem Eindruck nahtlos ein, Daves Songs haben Qualität. Nein, alles ist gut. Er ist zufrieden, ich bin zufrieden, alle sind zufrieden. Es war eine insgesamt sehr gute, sehr fruchtbare Zeit für unsere Band. Ich bin jeden Tag mit Vorfreude zur Arbeit gegangen.

GA: Die erste Single "Heaven" klingt überraschend. Ihr benutzt weniger Elektronik, mehr Instrumente als üblich, das Lied ist zudem eher langsam. War "Heaven" für euch eine Single, die sich aufgedrängt hat?
Gore: Nein, eben nicht. Das fanden wir gerade spannend. Ich hielt es für riskant, "Heaven" als erste Single auszuwählen, aber riskant in einem positiven, aufregenden Sinne. Wir finden es halt auch gut, Sachen zu machen, die in dieser Form nicht von uns erwartet werden.

GA: Ist Streben nach Überraschungen eines der Geheimnisse eurer Langlebigkeit als Band?
Gore: Es muss viele Ursachen geben, warum wir so lange ausgehalten haben, anders lässt sich so eine Ausdauer, so eine Hingabe, ja gar nicht erklären. Ich denke, es ist ein Riesenglück und eine absolute Seltenheit, dass wir nach all der Zeit nach wie vor nicht nur so ein großes, sondern auch so ein aufgeschlossenes, neugieriges Publikum haben. Die Begeisterung der Fans ist eine große Motivation. Wenn jedes neue Album hingegen weniger erfolgreich wäre als das davor, wenn wir plötzlich von den gewohnten Stadien in die Arenen oder gar in Clubs umziehen müssten, weil weniger Leute kommen, dann würde unsere Leidenschaft für unsere Musik sicher sinken.

GA: Martin, wie stellst Du dir persönlich denn den "Heaven", den Himmel, vor?
Gore: Ich denke, mein Himmel wäre sehr frei von Konflikten. Einfach. Simpel. Unkompliziert. Ich stelle fest, dass ich mich beim Songschreiben stark von dem Wort "Peace", also Frieden, angezogen fühle. Wenn jeder Mensch auf der Welt in Frieden leben könnte, dann käme das meiner Idealvorstellung vom Leben schon sehr nah.

GA: Auf dem letzten Album gab es einen Song namens "Peace". Ist der Frieden ein zentrales Thema für dich geworden?
Gore: Das Leben in Frieden ist für mich gleichbedeutend mit einem erfüllten Leben. Damit meine ich äußeren Frieden, aber auch inneren Frieden, den Einklang mit sich selbst also. Die Welt wäre ein rundum glücklicher Ort, würde nur jeder Mensch seinen Frieden finden. Es ist ja schon unnötig zu erwähnen, dass es dann auch keinen Krieg mehr gäbe.

GA:Bist Du ein Träumer?
Gore: Natürlich, aber das muss doch erlaubt sein. Welchen Fortschritt nimmt das Leben denn noch, wenn die Menschen nicht mehr träumen würden. Ich halte es für eine Schande, dass so viele Menschen in Unfrieden leben müssen. Das hat niemand verdient.

GA: Wie friedlich und erfüllend ist denn dein Leben?
Gore: Ich bin sehr glücklich im Moment. Ich fühle mich erfüllt und komplett. Und das führt auch dazu, dass das neue Album textlich über weite Strecken sehr positiv ausgefallen ist. In mancherlei Moment beißt sich der Inhalt richtig mit der Musik, denn die Musik ist in Teilen sehr bluesig. Und der Blues thematisiert ja üblicherweise Kummer, Schmerz und Depression. Aber ich hatte große Lust, Blues-Elemente in diesen ungewohnten Zusammenhang zu stellen.

GA: In einem Song wie "Slow" ist das zum Beispiel der Fall. Stilistisch ist das ein Blues, doch in den Worten geht es um...
Gore: ... Sex (lacht). Nennen wir das Kind doch beim Namen. "Slow" ist ein gefühlvoller, erotischer Song über die Freude am Sex. Manchmal liegen die Dinge ganz einfach.

GA: Fällt es dir als Brite nicht schwer, über Sex zu schreiben?
Gore: Nö. Also, ich fand das überhaupt nicht schwierig oder gar peinlich.

GA: Ganz allgemein: Bist Du eher Optimist oder Pessimist?
Gore: (zögert) Ich denke, ich war früher eindeutig ein Pessimist. Auf alle Fälle war ich klar pessimistischer als heutzutage. Heute bin ich weitaus mehr Optimist als Pessimist.

GA: Woran liegt das?
Gore: Ich schließe nicht aus, dass das etwas mit dem vorgerückten Lebensalter zu tun hat, in dem ich nun angekommen bin. So genau weiß ich es selbst nicht. Ich halte es jedoch für eine angenehme Entwicklung, nicht mehr dieser Miesepeter zu sein wie früher.

GA: Gibt es außer dem Älterwerden noch Ursachen dafür, dass Du das Leben heute positiver betrachtest?
Gore: Es kommt zudem auch immer darauf an, wie deine Lebenssituation gerade aussieht. Ich habe ein schönes Leben und genieße es zum Beispiel, Vater zu sein. Auch künstlerische Ausflüge wie das gemeinsame Album mit Vince Clark machen mir viel Freude. Aber auch innerhalb von Depeche Mode bin ich glücklich. Wir setzen uns nicht mehr unter Druck oder zeitlichen Stress, das kommt unserer Stimmung sehr zu Gute. In den kommenden 16 Monaten freilich werde ich kaum Möglichkeiten zur Muße bekommen. Wir werden sehr viel arbeiten und sehr viel live spielen. Das mag ich. Ich habe die letzte Tour so richtig genossen.

GA: Zu Beginn der Tournee musste Dave ein Blasentumor entfernt werden. Wie groß war der Schreck?
Gore: Der Schreck war schon sehr groß. Wir waren alle fit und GA so dachten wir GA gesund. Und dann geschieht so etwas. Diese Art von Drama wäre wirklich nicht nötig gewesen. Auf der anderen Seite muss man sagen: Dieser Tumor war eigentlich der erste große medizinische Vorfall, der je bei einer unserer Tourneen passiert ist. Hoffentlich geht diesmal alles glatt.

GA: Naja, es gab schon noch mehr Dramen. Man denke nur an Gahans Heroin-Überdosis und seinen Herzstillstand.
Gore: Okay, Du hast recht. Wir hatten auch schon Tourneen, auf denen Drogenkonsum hinter den Kulissen ein großes Problem war. Zum Glück liegt das schon sehr weit in der Vergangenheit, bald 20 Jahre. Oder dass Alan (Wilder) uns verlassen hat. 1995 war das. Ewig her. Diese Ereignisse verschwinden allmählich im Nebel.

GA: Apropos Nebel: Du hast jahrelang tendenziell zu viel Alkohol getrunken und bist seit sieben Jahren trocken. Vermisst Du den gelegentlichen Drink?
Gore: Das Tolle ist: Ich denke kaum noch an Alkohol. Er fehlt mir nicht. Die Abstinenz hat mir als Mensch sehr geholfen, ich führe heute ein komplett anderes Leben. Ein Leben, in dem ich mich viel stärker mit der Welt verbunden fühle als damals.

GA: Habt ihr einen Coach, einen Fitnesstrainer mit auf Tournee?
Gore: So jemanden brauchen wir nicht. Ich war sowieso schon immer ein Läufer. Selbst in der Zeit, als ich noch soff, bin ich regelmäßig joggen gegangen. Mein Lieblingssport aber ist Fußball. Wenn ich zu Hause bin, spiele ich einmal pro Woche mit der Mannschaft. Alte Herren. Darüber hinaus gehöre ich zu den Männern, die die Mitgliedschaft in ihrem Fitnessclub tatsächlich auch nutzen (lacht).

GA: Was hat es mit dem Albumtitel "Delta Machine" auf sich?
Gore: "Delta" nimmt das Bluesthema auf. Man denkt beim Delta vielleicht ans Mississippi-Delta, eine sehr organische, ursprüngliche Landschaft. Diesen Begriff kontrastieren wir mit "Machine". Und außerdem sind die Initialen von "Delta Machine" natürlich DM.

GA: Und was für eine Hochhauslandschaft gibt es auf dem Albumcover zu sehen?
Gore: Das Foto ist von Anton Corbijn. Er fährt voll auf diesen Industrial-Look ab, und wir auch. Das Foto hat er aus dem Fenster unseres Studios in Manhattan geschossen. Wahrscheinlich ist das ein großes Geheimnis und ich dürfte es gar nicht verraten, aber jetzt ist es zu spät (lacht).

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