Vermischtes - Der Tod einer Lebedame

Rosemarie Nitribitts Mörder wird nie gefunden

Sie ist schon einige Tage tot, als die Frankfurter Zeitungen am 2. November 1957 schreiben: "In ihrer luxuriösen Zweizimmerwohnung wurde gestern die 24jährige Lebedame Rosemarie Nitribitt mit einem Nylonstrumpf erdrosselt aufgefunden." Wann genau sie gestorben ist, ist nach einer Kette von Schlampereien der Polizei nicht mehr festzustellen. Und eigentlich will es auch keiner so genau wissen. Das erste Callgirl der Bundesrepublik hinterläßt außer der Eigentumswohnung in der Stiftstraße 36 ein Bankguthaben über 120000 Mark, einen Pelzmantel, ein Mercedes-Cabrio 190 SL, ein Notizbuch und eine Heerschar verängstigter Wirtschaftskapitäne. Ihr Mörder wird nie gefunden.

Die Putzfrau fand die Leiche. Der Zeitpunkt des Todes ist unklar: Die Kripo öffnet die Fenster, statt die Raumtemperatur zu messen, und vergißt, die vor der Wohnungstür abgestellten Brötchentüten zu sichern und zu zählen. Der einzige Zeuge des Mordes ist der Zwergpudel der Nitribitt. Ihn fand man im Nebenzimmer.

Die Beamten finden ein Notizbuch mit den Adressen und Telefonnummern prominenter Kunden, das von höherer Stelle in Gewahrsam genommen wird und im Verlauf der weiteren Ermittlungen keine Rolle mehr spielt, ebenso wenig wie die im Kühlschrank der Nitribitt befindlichen unverkäuflichen Flaschen aus der Hauskellerei des Krupp-Konzerns. Dafür aber wird fieberhaft der Besitzer eines geheimnisvollen Männerhutes gesucht. Und gefunden: ein Kriminalhauptkommissar, der ihn nach der ersten Tatortbesichtigung in der Wohnung vergessen hatte.

Die Nitribitt. Geboren 24 Jahre zuvor in Düsseldorf. Vater unbekannt. Mutter Dauerkundin im Knast. Ein Fall für die Fürsorge. Im Eifeldorf Mendig unweit des Laacher Sees wird sie bei Pflegeeltern untergebracht, die sich so ihre spärliche Rente aufbessern und die nächsten Jahre damit verbringen, ihrem gefallenen Sohn nachzutrauern. Mit elf wird Rosemarie vergewaltigt. Der Täter wird nie zur Rechenschaft gezogen, obwohl ihn jeder im Dorf kennt. Dann kommen die Besatzer, und Rosemarie schafft sich ihre eigene Wirtschaftswunder-Philosophie. Sex hat offenbar nichts mit Liebe zu tun, aber mit barem Geld, und davon kann man etwas Glück kaufen: schöne Kleider, Nylonstrümpfe, Parfüm. Das Amtsgericht Mayen bescheinigt "Verwahrlosung" und schließt sie für die nächsten sieben Jahre weg, in Heime für Schwererziehbare. Am Tag ihrer Volljährigkeit geht sie nach Frankfurt, der Metropole des Wirtschaftswunders. Sie ist nicht besonders hübsch, aber sie macht die Männer verrückt. Sie ist ungebildet, aber intelligent genug, sich dem Schmuddel-Image des Gewerbes zu entziehen und huldvoll zum Schäferstündchen zwischen Nippes und Schleiflack zu laden. Drei Jahre lebt sie auf der Überholspur - bis zu ihrem jähen Tod.

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