Glosse über Straßenmusiker Wenn Musik zur Qual wird

Meinung · Wer kennt sie nicht? Die Straßenmusiker, von denen viele unser Leben bereichern. Ob in Covent Garden in London, in der Pariser Metro, am Bottlerplatz in Bonn oder der Siegburger Fußgängerzone – es gibt wahre Künstler unter ihnen. Aber wehe, wenn die Qualität zu wünschen übrig lässt und sie direkt unter deinem Fenster oder vor deinem Laden dudeln. Immer und immer wieder dieselbe Melodie. GA-Redakteur Dylan Cem Akalin schreibt aus eigener Erfahrung

 Ein Straßenmusiker.

Ein Straßenmusiker.

Foto: Dylan Cem Akalin

Flötentöne sind ganz schlimm. Sie durchdringen sämtliche akustischen Barrieren und bohren sich unbarmherzig rein in den Gehörgang. Und wenn's einer gar nicht kann, dann grenzt das schon an Körperverletzung. Ziehharmonika geht. Der Klang ist zwar voluminös, aber es sind wahrscheinlich die überwiegend mittleren Frequenzen, die die Dauerberieselung etwas verträglicher macht. Straßenmusik ist für den Flaneur vielleicht ein nettes Beiwerk, wenn er an den Schaufenstern entlang spaziert, aber wer in den Geschäften und Büros an der Fußgängerzone arbeitet, der kann dem kaum entfliehen.

Da ist zum Beispiel der Herr, der dröhnend so etwas singt, das weitgehend als Opernlibretti durchgehen könnte. Er steht übrigens auch häufig vor der Bonner Oper und sucht die Besucher mit seiner Art der Interpretation auf den Abend einzustimmen. Das ist schon schlimm genug. Misslich wird die Situation aber, wenn er zum Beispiel vor dem Eingang zur Brauhof Galeria in Siegburg steht und die fantastische, natürliche Schallverstärkung für seinen erschütternden Gesang nutzt. Kein Wunder also, als kürzlich ein offenbar völlig entnervtes Exemplar der schreibtischarbeitenden Bevölkerung hinauslief, nachdem er das Gejaule eine gute halbe Stunde über sich hatte ergehen lassen müssen, und den mutmaßlichen Sänger anflehte, doch bitte, bitte aufzuhören. Er müsse wirklich, ganz wirklich noch arbeiten.

Ja, wir Anlieger der Fußgängerzone könnten ein Lied von den Niederungen der Straßenmusik singen. Laut und falsch, aber voller Inbrunst. Wenn etwa ein jungen Nachwuchsgitarrist voller Freude über seine drei (!) Akkorde, diese fast eine halbe Stunde lang unter Ihrem Fenster probt (und dafür Geld von den Passanten erwartet), kann die Freude an der Musik ins Gegenteil kippen.

Und die Zahl der Straßenmusiker wächst stetig. Das Programm ist also durchaus tagesfüllend. Da gibt es Violinisten, die sich gerne auf ein oder zwei Melodien konzentrieren, glücklicherweise auch mal Barden beider Geschlechter, die ihr Handwerk verstehen, Saxofonisten mit überschaubarem Repertoire. Kein Wunder also, dass immer mehr Städte die Regeln streng anziehen. In Siegburg dürfen Musiker 20 Minuten an einer Stelle performen, in Köln nur in den ersten 30 Minuten einer vollen Stunde, die zweite Hälfte bleibt der Erholung der Anlieger vorbehalten. Es gibt auch komplett von Straßenmusik befreite Zonen. Und immer mehr Städte führen Qualitätskontrollen ein, wie in München, wo es, so erzählen Insider, zugehe wie bei Dieter Bohlen. Auch wir träumen von dem Poptitan. Aber nur als knallhartes Jurymitglied. Als Straßenmusiker ist auch der nicht zu ertragen.

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